Erste Erfolge bei Epilepsie im Kindesalter
Genanalyse zeigt den Weg zur richtigen Therapie
Tübingen
– Vielen Menschen mit Epilepsie bleibt die langwierige Suche nach dem
richtigen Medikament womöglich bald erspart: Europäische Wissenschaftler
erforschen derzeit die Rolle von genetischen Ursachen der Erkrankung,
an der in Deutschland etwa 600.000 Menschen leiden. Ziel ist es, mittels
einer Genanalyse die optimale Therapie für jeden einzelnen Patienten zu
finden. Bei Kindern mit bestimmten Epilepsie-Formen wurden bereits
erste Erfolge erzielt. Auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft
für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) in
Tübingen vom 18. bis 21. März 2015 berichteten führende Neurologen, dass
erste Ergebnisse des EU-Projekts noch in diesem Jahr vorliegen dürften.
Bei etwa zwei Drittel der Epilepsie-Patienten wirken Medikamente sehr gut, die Menschen leben ohne Anfälle.
„Bei den anderen dauert es länger oder gelingt überhaupt nicht“, sagt
Professor Dr. med. Holger Lerche, Präsident des diesjährigen
DGKN-Kongresses. Die Patienten leiden weiterhin unter Anfällen oder auch
Nebenwirkungen, wie etwa Müdigkeit, Schwindel, Zittern oder
Haarausfall, so der Direktor der Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt
Epileptologie, Hertie-Institut für Klinische Hirnforschung, Universität
Tübingen. Bisher gibt es nur wenige Anhaltspunkte, nach denen der Arzt
die Wirksamkeit einer Therapie vorhersagen kann.
Diesen
Patienten, deren Behandlung sich über Jahre oder sogar Jahrzehnte
hinzieht, hofft das Forscherteam mit Genanalysen zu helfen. Erbliche
Faktoren spielen bei etwa der Hälfte der Epilepsie-Patienten eine Rolle.
Bekannt sind mehr
als 300 Gene, die monogenetisch, das heißt durch eine einzige Mutation,
oder durch eine Kombination mehrerer mutierter Gene, eine Epilepsie
verursachen.
„Bei
einigen schwerwiegenden Epilepsieformen bei Kindern können wir schon
jetzt mittels Genanalysen die wahrscheinliche Wirksamkeit bestimmter
Medikamente vorhersagen“, sagte Lerche auf der heutigen
DGKN-Pressekonferenz. Dazu zählen Kinder, bei denen Mutationen in
verschiedenen Kaliumkanal-Genen* eine schwere Epilepsie verursachen.
Ihnen helfen unterschiedliche Medikamente: einige Antiepileptika, aber
auch Medikamente, die sonst bei Epilepsie gar nicht eingesetzt werden,
die sich jedoch spezifisch auf den Gendefekt auswirken und diesen zum
Teil korrigieren. Dazu zählt zum Beispiel Chinidin, das sonst bei
Herzrhythmusstörungen eingesetzt wird.
Auch
für Kinder, deren Epilepsie durch einen gestörten Zuckertransport über
die Blut-Hirn-Schranke ausgelöst wird, entdeckten Forscher eine
maßgeschneiderte Therapie: „Eine fettreiche Diät verhindert bei dieser
Form die Anfälle weitgehend und verbessert oft auch die meist gestörte
geistige Entwicklung der Kinder“, erläutert Lerche.
Derzeit
kommen die Therapieerfolge vor allem Patientengruppen mit
monogenetischen Formen der Epilepsie zugute. DGKN-Experten erhoffen sich
noch dieses Jahr weitere Fortschritte von dem EU-Projekt, an dem auch
die Tübinger Wissenschaftler beteiligt sind. „Es geht darum, mithilfe
einer Genanalyse die Wirksamkeit bekannter Epilepsie-Medikamente und
mögliche Nebenwirkungen vorherzusagen“, berichtete Lerche auf der
DGKN-Tagung. Davon könne eine große Anzahl von Patienten profitieren.
Die Fachtagung für Neurophysiologen ist eine der größten neurologischen
Tagungen in der Bundesrepublik, mehr als 1500 Teilnehmer aus Deutschland
und dem europäischen Ausland nehmen daran teil.
*KCNQ2, KCNT1, KCNA2