Zunächst meine persönliche Stellungnahme:
(Pioneer) – Die Philosophin Barbara Bleisch schreibt in „Mitte des Lebens“, dass mangelndes Selbstwertgefühl und die Sehnsucht nach Gruppenzugehörigkeit Menschen dazu bringe, sich an vorgefertigten Meinungen zu orientieren und diese gar zu übernehmen. Sie ermuntert uns, die Mehrheitsmeinung nicht als richtig oder falsch, sondern vor allem „als sozial bedingt zu verstehen“.
Der Philosoph Stanley Cavell steht ihr als Kronzeuge zur Seite. Er sagt, die Aufgabe des Erwachsenwerdens bestehe darin, eine eigene Stimme zu finden und zu erheben, um damit das „uneigentliche Leben“ (Martin Heidegger) zu beenden. Das Uneigentliche beginnt da, wo ständig „man“ zitiert wird. „Man“ macht. „Man“ denkt. Und als Krönung des Konformismus: Das sagt „man“ nicht.
Auch das Jahr 2024 kann man als große Ermunterung lesen, diesem geheimnisvollen „man“ zu widerstehen und selbst kenntlich zu werden. Es gab reichlich Anlass, der Mehrheitsmeinung von Medien und Mächtigen zu misstrauen, weshalb der Eigentümer der Los Angeles Times („Meine eigene Zeitung kommt mir vor wie eine Echokammer, nicht wie eine vertrauenswürdige Quelle“) jetzt ein KI-Tool neben den Artikeln einbauen will. Dieses soll per Knopfdruck die Quellen analysieren und den Grad der Parteilichkeit anzeigen. Ab Januar geht’s los.
Wagen wir also einen Blick zurück auf das Jahr der Irrtümer, die wir aus Höflichkeit Irrtümer nennen, obwohl viele davon vorsätzlich fabriziert wurden.
Irrtum #1: Der Taylor-Swift-Effekt
Nahezu alle Medien waren überzeugt davon, dass Taylor Swift mit ihren fast 300 Millionen Followern auf Instagram in den USA einen wahlentscheidenden Einfluss haben würde. Ihre Empfehlung zugunsten von Kamala Harris würde die Jugend aktivieren, hieß es von Spiegel bis New York Times. Dieser popkulturelle Einfluss lässt sich bis heute nicht nachweisen.
Im Gegenteil: Die Nähe zwischen der Kandidatin (einer ehemaligen Arbeiterpartei) und den Celebrities aus Hollywood – denen sie sich in einem Vogue-Cover anverwandelte – gilt heute als Ausweis ihrer Volksferne und Mitverursacher der Niederlage. Der Mainstream der Wähler dachte und fühlte anders als der Mainstream der Medien.
Irrtum #2: Es gibt ein Kopf-an-Kopf-Rennen
Die Unentschlossenheit der Wähler hat es da, wo in harter Währung abgerechnet wird, nämlich am Wahltag, nicht gegeben. Mit großer Eindeutigkeit hat der Republikaner die Wahl für sich entschieden. Von 3.160 Wahlbezirken holte Trump 2.684.
Heute schulden uns Meinungsforscher wie Ipsos, YouGov und Co. und Onlinemedien wie FiveThirtyEight eine Erklärung dafür, dass sie kurz vor dem Urnengang noch einen Wahlsieg der Demokratin prophezeit haben. Die Mehrheitsmeinung (72 Prozent) in Deutschland, die laut ZDF-Politbarometer mit einem Wahlsieg von Kamala Harris gerechnet hatte, findet ihre Ursachen ebenfalls in einer Berichterstattung, die Wünsche als Wirklichkeit verkauft hat.
Irrtum #3: Biden rettet den Rechtsstaat
Ungeprüft wurde die Erzählung von Joe Biden als gütigen Herrn, der gegen einen Autokraten den Rechtsstaat verteidigt, von den Medien übernommen. Die Wahrheit zeigte sich nach der Niederlage und wenige Tage vor der Amtsübergabe an Trump.
Entgegen seines Versprechens, das Rechtsstaatsprinzip über die Familie zu stellen, hat er seinen Sohn, dem eine Gefängnisstrafe wegen Steuerhinterziehung und einem Verstoß gegen das Waffengesetz drohte, begnadigt. Damit ist Hunter Biden für immer der Strafverfolgung entzogen. Und jedermann sieht: Joe Biden ist nicht der, als der er uns beschrieben wurde. Auf die interfamiliäre Begnadigung angesprochen erwiderte Biden bei einer Pressekonferenz zynisch:
Irrtum #4: Die deutsche Wirtschaft wächst
Scholz schwärmte 2023 noch von Wachstumsraten in Höhe der Wirtschaftswunderjahre und der zuständige Minister lieferte eine angeblich wissenschaftlich abgesicherte Prognose, wonach das Wachstum im Jahr 2024 hätte 1,3 Prozent betragen müssen.
Dazu muss man wissen: 1,3 Prozent Zuwachs in einer Volkswirtschaft, deren Bruttosozialprodukt 4,2 Billionen Euro beträgt, bedeutet einen zusätzlichen Wohlstand von 54 Milliarden Euro. Dieses Geld entspricht dem regulären Bundeswehretat.
Das Gegenteil des Prognostizierten geschah. Das Land wuchs nicht, sondern schrumpfte. Deutschland ist nicht das Wirtschaftswunderland von Olaf Scholz, sondern der kranke Mann Europas.
Irrtum #5: Putin ist isoliert
Dieselben Experten, die sagten, Sanktionen würden Russland in die Knie zwingen, vertraten anschließend die Ansicht, Putin sei weltweit isoliert. Von Foreign Affairs („Putin der Paria: wie die Sanktionen und die Strafverfolgung Russlands Präsident in Gefahr bringen“) bis hin zum Stern („Der russische Staatschef ist isoliert“) gab es die Behauptung, Putin habe sich mit seinem völkerrechtswidrigen Überfall der Ukraine ins Abseits manövriert.
Das Gegenteil ist richtig: Immer mehr Staaten, darunter China, der Iran, Indien und viele afrikanische Staaten, würden gerne die Vormachtstellung der Amerikaner überwinden. Sie billigen aus Eigeninteresse Putins Gewaltanwendung und bauen ihre Beziehungen zu Russland aus. Der Block der Brics-Staaten hat sich eben erst in Russland getroffen, um seine Sehnsucht nach einem Ende der amerikanischen Hegemonie zu zelebrieren.
Irrtum #6: Es gibt einen weltweiten Rechtsruck
Dieses Narrativ dient in den USA und Deutschland vor allem der Mobilisierung regierungsfreundlicher Gefühle. Man versucht damit, die oppositionellen Bewegungen rechts der Mitte als undemokratisch zu delegitimieren. Trump wurde als Faschist, Alice Weidel von SPD-Chef Lars Klingbeil als Nazi etikettiert.
Doch einen globalen Rechtsruck gibt es nur in den Überschriften der Zeitungen, nicht im wahren Leben der Völker: Wahlerfolge von Rechtspopulisten wie Trump und Meloni in Italien stehen einer hohen Anzahl sozialdemokratischer Wahlerfolge gegenüber.
In Deutschland, Großbritannien, Dänemark, aber auch in Spanien und Brasilien regieren Sozialdemokraten, im Élysée-Palast wohnt kein Rechtspopulist, sondern der ehemalige Sozialist Macron. In Polen wie auch in Großbritannien und Brasilien wurden konservative und rechtspopulistische Bewegungen abgewählt. Die Landkarte der weltweiten Regierungen ist nicht schwarz oder rot, sondern divers.
Fazit: Die Mainstream-Medien sind die Verlierer des Jahres 2024. In 2025 lohnt es sich für jeden Einzelnen umso mehr, darauf zu achten, dass die eigene Meinung und die Fakten nicht außer Sichtweite geraten.