(Pioneer) – Das berühmte Essay der Frauenrechtlerin Carol Hanischs „The Personal Is Political“ erfährt im Zuge des Klimawandels eine neue Interpretation. Wieder sind es die privaten Verhältnisse – diesmal die von Wohn- und Hauseigentümern –, die im Zuge extremer Wetterlagen politisch geworden sind. Es geht diesmal nicht um Geschlechter-, es geht um Eigentumsfragen.
Warum das wichtig ist: Die Versicherungsbranche muss feststellen, dass ihre Risikomodelle im Zeitalter der extremen Wetterphänomene nicht mehr funktionieren. Das Ganze hat enorme Auswirkungen auf die Stabilität der Prämien, auf die Versicherungsbilanzen und die soziale Frage der westlichen Mittelstandsgesellschaften.
Politiker und Finanzmarktregulierer sind alarmiert. Vor wenigen Wochen hat das US-Finanzministerium erstmals Daten bei den Versicherern angefragt, um das Ausmaß künftiger Verwerfungen besser beurteilen zu können. Die Financial Times kommt in ihrem gestrigen Report zu einem für Firmen und Hauseigentümer verstörenden Resultat:
Das sind die fünf unbequemen Fakten, die man zu diesem Thema heute Morgen wissen sollte:
1. Die Extremwetter nehmen zu.
Die Zahl der Naturkatastrophen steigt weiter an. Allein 2023 starben bei Extremwetter-Ereignissen weltweit rund 74.000 Menschen und damit fast doppelt so viele wie im 30-Jahre-Durchschnitt, wo 40.000 Tote gezählt wurden. Das geht aus dem aktuellen Naturkatastrophenreport des weltgrößten Rückversicherers hervor, der Munich Re.
Das Erdbeben im Südosten der Türkei und Syrien sorgte weltweit für die schadensreichste Katastrophe 2023. Im Februar starben dort fast 60.000 Menschen. Der Vorstandschef der Rückversicherung, Thomas Blunck, obwohl routiniert im Umgang mit Schadensereignissen, ist berührt:
2. Die Schadenssummen explodieren.
Diese Entwicklung spiegelt sich auch in den jährlichen Schadenssummen wider. Insgesamt entstanden 2023 Schäden durch Überschwemmungen, Erdbeben und Brände in Höhe von 250 Milliarden US-Dollar, wovon nur 95 Milliarden US-Dollar versichert waren – 67 Prozent über dem 30-Jahres-Durchschnitt.
Weltweit warnen Führungskräfte davor, dass die Versicherungspreise nach einer Reihe von extremen Wetterereignissen auf dem Kontinent weiter steigen müssen. „Wir können solche Ereignisse nicht mehr als zweitrangig bezeichnen“, sagt Ernst Rauch, leitender Klimawissenschaftler bei Munich Re.
3. Die Risikomodelle der Versicherer versagen.
Führungskräfte der Versicherungswirtschaft geben hinter vorgehaltener Hand den Risikoanalysen, auf die sich die Versicherer bei der Prognose von Schäden stützen, eine Teilschuld an der Misere. Die Modelle würden die Beschleunigung, die Häufigkeit und die Schwere extremer Wetterereignisse nicht korrekt abbilden.
Zugleich scheut sich die Versicherungsindustrie, ihre Modellierung von Risiken der neuen Wirklichkeit anzupassen. Die Auswirkungen auf die Prämiensysteme bergen sozialen Sprengstoff: In Australien würde demnach einer von 25 Haushalten bis 2030 nicht versicherbar sein, so das dortige Climate Council.
4. Ein weltweites Re-Pricing
Dennoch: Für Hausbesitzer, die in Regionen leben, wo extreme Wetterereignisse wie Stürme, Überschwemmungen und Waldbrände immer häufiger und heftiger auftreten werden, werden die Kosten ihrer Versicherung deutlich steigen. „Dies ist das erste Mal, dass wir eine Rechnung für den Klimawandel an den Verbraucher weitergeben“, sagte Christian Mumenthaler, Vorstandsvorsitzender von Swiss Re, einem der größten Rückversicherer der Welt, im Januar in Davos.
Steigende Versicherungsprämien seien eine Art CO2-Aufschlag für die Verbraucher, sagte er, und die höheren Kosten resultieren daraus, „dass wir so leben, wie wir gelebt haben“.
5. Vorsicht Steuerzahler: Das kann teuer werden.
Zwischen Politik und Versicherungen ist ein „blame game“ entstanden. Jeder weist dem anderen die Schuld zu. Swiss Re schreibt in einem Report:
In den USA, Großbritannien und zahlreichen anderen Ländern hilft bereits Steuerzahlergeld, um die Risiken der Bürger abzudecken. Etwa in Kalifornien, wo Hausbesitzer in vielen Regionen ihren Versicherungsschutz aufgrund des erhöhten Risikos von Waldbränden verloren haben, wurde der vom Bundesstaat finanzierte FAIR Plan ins Leben gerufen. Inzwischen sind mehr als 270.000 Hausbesitzer über das Programm versichert, doppelt so viele wie noch 2018.
Michael Steel, Leiter der Risikoanalyse-Firma Moody’s RMS, die Modelle anbietet, mit denen Versicherer ihre potenziellen Verluste durch Naturkatastrophen abschätzen können, kritisiert die Branche scharf. Sie dürfe sich nicht aus der Verantwortung stehlen,
Fazit: Die Politik des Nichthörens, Nichtsehens und Nichtsprechens kann nur giftige Früchte tragen. Die seriöse Befassung mit den Klimafolgen für die privaten Haushalte ist nicht schick und nicht grün, sondern ökonomisch geboten. Auch der Haus- und Städtebau muss neu gedacht werden.