(Business Insider) – Wasserstoff gilt schon seit den Sechzigerjahren als einer der vielversprechendsten Kandidaten für den Ersatz von Benzin und Diesel. Auch Mercedes, BMW, Audi und VW experimentieren seit Jahrzehnten mit dem Treibstoff und der Brennstoffzellentechnologie. Bisher haben die deutschen Hersteller jedoch nur Kleinserienmodelle mit Wasserstoffantrieb gebaut, wie den Mercedes GLC F-Cell oder BMW 7er Hydrogen 7. Nichts für die breite Masse.
Japan und Südkorea treiben die Technologie voran
Die Konkurrenz aus Japan und Südkorea ist deutlich konsequenter. Toyota brachte mit dem Mirai 2014 das erste in größeren Stückzahlen gefertigte Brennstoffzellen-Auto der Welt auf den Markt, das mittlerweile in der zweiten Generation vom Band läuft. Hyundai zog 2018 mit dem Wasserstoff-SUV Nexo nach. Aufgrund der exotischen Technik sind beide Modelle vergleichsweise teuer und daher keine Verkaufsschlager.
Die derzeit schlecht ausgebaute Infrastruktur tut ihr Übriges. Von dem mindestens 79.000 Euro teuren, dafür aber vergleichsweise gut ausgestatteten Südkoreaner Nexo wurden 2019 lediglich knapp 4.500 Stück gebaut. Trotzdem treiben die beiden Konzerne die Entwicklung auf diesem Gebiet mit voller Kraft voran, was auch an dem starken politischen Willen in den beiden asiatischen Ländern liegt.
VW setzt auf batteriebetriebene Elektroautos
Wie die „Financial Times“ berichtet, haben die meisten europäischen Autokonzerne ihre Wasserstoff-Pläne mittlerweile weitestgehend begraben. Stattdessen möchten sie sich im PKW-Bereich konsequent auf batterieelektrisch angetriebene Fahrzeuge konzentrieren. Herbert Diess, der Vorstandsvorsitzende des VW-Konzerns, hält die Idee eines großen Marktes für Brennstoffzellen-Autos für zu optimistisch. „Sie werden keinen breiten Einsatz von Wasserstoff in Autos sehen. Nicht einmal in 10 Jahren, weil die Physik dahinter einfach so unvernünftig ist,“ sagte Diess der „Financial Times.“
Zumindest bei seiner Kernmarke baut die Zukunftsstrategie des VW-Konzerns komplett auf BEVs (Battery Electric Vehicles). Die Premium-Tochter Audi hat mit der Studie H-Tron bereits vor fast fünf Jahren einen ersten Ausblick auf ein potenzielles Brennstoffzellen-SUV gegeben. Angesicht der aktuellen Zweifel des Konzernchefs und der konsequenten Elektro-Strategie des weltweit größten Autokonzerns ist es jedoch fraglich, ob Audi jemals ein Volumenmodell mit Wasserstoffantrieb auf den Markt bringen wird.
Diess hält von der Technologie wenig
Diess hat in seiner Zeit als BMW-Ingenieur selbst an Fahrzeugkonzepten mit Wasserstoffantrieb gearbeitet, zweifelt aber im Gegensatz zu den meisten Konkurrenten selbst im LKW-Bereich die Sinnhaftigkeit des Antriebskonzepts an. Die VW-Töchter MAN und Scania arbeiten zwar für die Langstrecke weiterhin an Wasserstoff-Trucks, aber auch bei ihnen liegt der Fokus klar auf E-Fahrzeugen, die ihren Strom aus großen Batterien beziehen und mit einer Füllung zwischen 200 und 300 Kilometern schaffen sollen. Zu dem Thema sagte Diess der Financial Times: „Bei LKWs geht es vor allem um die Kosteneffizienz. Und Wasserstoff ist so teuer, dass sich die Kosten pro Kilometer im Vergleich zum einem batterieelektrischen LKW verdreifachen würden.“
Der aus der Fusion von der Groupe PSA (Peugeot, Citroën, Opel und DS) und Fiat-Chrysler hervorgegangene Konkurrent Stellantis ist im Transportbereich etwas optimistischer. Der Konzern möchte in den kommenden Jahren kleine Wasserstoff-Transporter auf die Straße bringen. Im Automobilbereich sieht er aber auch kein großes Potenzial. „Der Großteil der Leute, die auf das Wasserstoffauto drängten, haben jetzt einen Rückstand bei den E-Autos“, sagte der Vorstandsvorsitzende Carlos Tavares der Financial Times.
Renault plant Wasserstoff-Transporter
Auch Renault sieht den idealen Einsatzzweck für den Wasserstoffantrieb im Güterverkehr. Philippe Prevel ist bei dem französischen Traditionskonzern für alternative Treibstoffe verantwortlich. Seiner Meinung nach macht der Antrieb vor allem bei Fahrzeugen Sinn, die einen zentralen Dreh- und Angelpunkt haben, an den sie nach dem Schichtende zurückkehren, wie Busse, Taxis oder Lieferwagen. Letztere haben die Franzosen mit dem Kangoo und Master Z.E. Hydrogen bereits im Angebot. Allerdings fiel der Anteil der Wasserstoff-Varianten an den Gesamtverkäufen bisher äußerst gering aus.
Auf lange Sicht strebt Prevel in Segment der H2-Transporter einen Marktanteil von 30 Prozent an. Derzeit sei aber noch nicht absehbar, wie viel Wachstumspotenzial in dem bisher kaum existenten Markt wirklich steckt. Noch für dieses Jahr, plant Renault zwei neue Wasserstoff-Lieferwagen, die aus einer Kooperation mit dem amerikanischen Brennstoffzellen-Spezialisten Plug Power stammen. Zudem ist der Franzose davon überzeugt, dass die mit Wasserstoff betriebene Brennstoffzelle vor allem auf Strecken über 300 Kilometer eine Rolle spielen wird. Rein elektrisch angetriebene LKW bräuchten für solche Distanzen schwere und platzraubende Batterien. Im PKW-Bereich setzt Renault bis 2030, wie der Großteil seiner europäischen Konkurrenten, vor allem auf BEVs und Hybridantriebe.
Mercedes und BMW halten sich zurück
Mercedes hatte jahrelang ambitionierte Wasserstoff-Pläne. Doch auch die Stuttgarter konzentrieren sich mittlerweile in erster Linie auf die Entwicklung batterieelektrischer Autos und den Ausbau ihrer EQ-Modellfamilie. Nachdem die Marke mit dem Stern seit den Neunzigern Brennstoffzellen-Versionen der A- und B-Klasse produzierte, wurde Ende 2018 der Mercedes GLC F-Cell eingeführt. Das Wasserstoff-SUV wurde nur im Leasing angeboten und bereits im April 2020 nach rund 3.000 Exemplaren eingestellt. Die Schwaben haben ihr Wasserstoff-Programm aber nicht komplett aufgegeben. Im LKW-Bereich haben sie kürzlich eine Kooperation mit Volvo geschlossen.
Beim Erzrivalen aus München sieht es ähnlich aus. BMW plant für 2022 eine lokal emissionsfreie Version des X5, die sich einen Großteil der Technik mit Toyotas Technologieträger Mirai teilen wird. Doch auch bei dem Brennstoffzellen-X5 rechnet der Hersteller nur mit niedrigen Stückzahlen. Passend zum Zeitgeist liegt auch bei den Bayern das Hauptaugenmerk auf der Entwicklung ihrer batteriebetriebenen Modelle, wie beispielsweise dem i4 oder dem iX.
Wenig Tankstellen und hohe Preise
Die Gründe für die Skepsis der Autokonzerne sind vielseitig. Allen voran werden viele Kunden derzeit von der international dürftigen Infrastruktur abgeschreckt. Trotz staatlicher Förderungen seit 2007 gibt es laut dem Anbieter H2.LIVE hierzulande derzeit nur 91 Tankstellen, während sich rund fünf Stück in der finalen Bauphase befinden. Zum Vergleich: Benzin konnte im vergangenen Jahr an insgesamt 14.400 Orten gezapft werden.
In anderen Ländern sieht es nicht besser aus. Im Gegenteil: Deutschland führt die europäische Rangliste mit einem großen Vorsprung an. Insgesamt sind es in ganz Europa nur 180 Stück. Kein Wunder, denn der Bau einer neuen H2-Tankstelle schlägt mit rund einer Million Euro zu Buche. Dazu kommt, dass Wasserstoff für Autos aufgrund der geringen Nachfrage nur in kleinen Mengen produziert wird, der Treibstoff ist deshalb vergleichsweise teuer. Ein Kilo kostet derzeit üppige 9,50 Euro. Der Hyundai Nexo kommt damit beispielsweise etwas weiter als 100 Kilometer.
Aufwendigere Technik als beim BEV
Zudem sind die Wasserstoffmodelle in der Anschaffung deutlich teurer als vergleichbare Benziner oder E-Autos. Während letztere zwar über eine üppig dimensionierte und kostenintensive Lithium-Ionen-Batterie verfügen, sind sie technisch deutlich einfacher aufgebaut. Bei Wasserstoffautos kommen zu den dickwandigen Hochdrucktanks die Brennstoffzelle, in der H2 mit Sauerstoff reagiert. Neben Wasser und Wärme, wird dabei natürlich auch der für den Antrieb benötigte Strom erzeugt. Letzterer wird anschließend von einem Aufwärtswandler verstärkt und erst dann an die E-Motoren abgegeben. Dazu kommt noch eine zusätzliche Puffer-Batterie.
All diese Komponenten führen derzeit noch zu hohen Produktions- und Entwicklungskosten. Um diese deutlich senken zu können, müssten die Autohersteller jährlich hunderttausende Brennstoffzellen-Fahrzeuge verkaufen. Angesichts der aktuellen Verkaufszahlen ist das ein utopisches Ziel. Der Wirkungsgrad der Brennstoffzelle ist mit rund 65 Prozent zwar doppelt so hoch wie bei einem Verbrennungsmotor. Wenn man jedoch die Produktion, den Transport und die Umwandlung des Wasserstoffs in Strom komplett durchrechnet, landet man bei einem Wirkungsgrad von 29 bis 32 Prozent. Batterieelektrisch angetriebene Fahrzeuge sind derzeit effizienter als Wasserstoffautos.
Maximilian Fichtner, Professor der Festkörperchemie an der Universität Ulm, äußerte im Gespräch mit der „Wirtschaftswoche“ schon im November 2019 Bedenken. Der Gesamtverkehr hatte hierzulande damals einen jährlichen Energiebedarf von rund 770 Terawattstunden, sagte Fichtner. Wenn man alle Fahrzeuge mit einem Wasserstoffantrieb ausrüsten würde, dürfte der Bedarf auf über 1000 Einheiten ansteigen. Die Umstellung auf einen reinen Elektroantrieb könnte ihn dagegen sogar auf rund 200 Terawattstunden reduzieren.
Grüner Wasserstoff ist Zukunftsmusik
Als Abgas fällt bei Brennstoffzellenautos tatsächlich nur unschädlicher Wasserdampf an. Die Produktion von H2 ist aber in den meisten Fällen noch alles andere als klimaneutral. Die Herstellung von grünen Wasserstoff ist zwar in der Theorie bereits möglich. Hierbei wird die Elektrolyse von Wasser ausschließlich mit Strom durchgeführt, der komplett aus erneuerbaren und klimaneutralen Energien stammt. Diese Methode ist derzeit jedoch noch sehr kostenintensiv und wird deshalb nur im kleinen Maßstab eingesetzt. Der große Durchbruch wird hier zwar schon seit langem prophezeit, bisher ist er jedoch noch nicht eingetroffen.
Die Norm ist heute dagegen der graue Wasserstoff. Bei ihm stammt die Energie großteils aus fossilen Brennstoffen. Meist wird Erdgas unter hohen Temperaturen in Wasserstoff und C02 umgewandelt. Letzteres wird in die Umgebungsluft abgegeben und verstärkt so den Treibhauseffekt. Eine Zwischenstufe stellt der blaue Wasserstoff dar. Hier wird die Produktion auf die gleiche Weise durchgeführt, die Treibhausgase jedoch abgefangen und anschließend gespeichert. Doch auch bei dieser Vorgehensweise gibt es Nachholbedarf. Trotzdem sollte man den Wasserstoff nicht vorschnell abschreiben. Auf lange Sicht dürfte er bei der Energiewende nämlich eine entscheidende Rolle spielen. Wenn auch zum jetzigen Stand eher im Nutzfahrzeugbereich, sowie in der Produktion von Stahl und Zement.