(Leopoldina) – Die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Mit dieser Entwicklung sind neue Herausforderungen verbunden. So gilt es, die hohe Lebensqualität, Produktivität und Innovationsfähigkeit in einer Gesellschaft des längeren Lebens zu erhalten. Mit diesen Herausforderungen befasst sich die Alterns- und Lebensverlaufsforschung. Insbesondere sollte in Deutschland die Zusammenarbeit der einzelnen Disziplinen gestärkt werden. Gegenwärtig bleibt das Forschungsfeld noch hinter seinen Möglichkeiten zurück, schreiben Expertinnen und Experten der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina im heute erschienenen Zukunftsreport Wissenschaft „Forschung für die gewonnenen Jahre: Zukunft der Alterns- und Lebensverlaufsforschung“.
Bislang wurden in der Alterns- und Lebensverlaufsforschung vor allem jene Projekte gefördert, die sich mit der Entstehung und Behandlung von vorwiegend im Alter auftretenden Krankheiten beschäftigen. Diese Ausrichtung muss überdacht werden, so die Autorinnen und Autoren des Reports. Förderanreize sollten künftig neben biomedizinischen Aspekten auch sozial- und verhaltenswissenschaftliche Perspektiven einbeziehen. Eine breit aufgestellte, interdisziplinäre Alterns- und Lebensverlaufsforschung kann Antworten darauf geben, wie ein längeres Leben für einzelne und die Gesellschaft als Ganzes besser gestaltet werden kann. Der Zukunftsreport zeigt auf, wie Forschungspotenzial erschlossen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit verbessert werden kann:
- Disziplinäre Alternsforschung stärken: Disziplinen, die bisher in der Alterns- und Lebensverlaufsforschung unterrepräsentiert sind, sollten gezielt gefördert werden. Dazu gehören die Sozial-, Verhaltens- und Geisteswissenschaften, aber auch bestimmte Bereiche der Lebenswissenschaften. Für alle Disziplinen gilt, dass mit der Forschungsförderung ein breiteres thematisches Spektrum als bisher abgedeckt werden sollte.
- Förderprogramme auf Interdisziplinarität ausrichten: Um der Komplexität des Themas gerecht zu werden, sollten gesonderte Förderformate Anreize für interdisziplinäre Kooperationen schaffen. Ein besonderes Augenmerk sollte dabei auf Förderinstrumente mit längeren Zeithorizonten und einem Portfolio verschiedener Vorhaben gelegt werden.
- Ausbildung und Training ausbauen: Nach der Promotion sollte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die in diesem Forschungsfeld arbeiten, ein Training in interdisziplinärer Forschung angeboten werden, das auf die Alterns- und Lebensverlaufsforschung zugeschnitten ist.
- Modelle und Qualitätskriterien erarbeiten: Um die Datenerhebung zu vereinheitlichen und die Begutachtung interdisziplinärer Projekte zu erleichtern, sollten Qualitätskriterien entwickelt werden. Dafür werden neue Modelle benötigt, welche die komplexen Phänomene im Themenfeld der Alternsforschung beschreiben.
- Datenerhebungen und -auswertungen ausweiten: Die langfristige Förderung von Kohortenstudien birgt Innovationspotenzial. So sollte beispielsweise die Erwachsenenkohorte des Nationalen Bildungspanels bis ins hohe Alter fortgesetzt werden. Für kohortenvergleichende Längsschnittstudien empfiehlt sich die Einrichtung eines nationalen Verbunds. Dieser würde neben der gemeinsamen Datenauswertung auch die Kompetenzentwicklung von Forscherinnen und Forschern fördern.
- Nutzen anwendungsorientierter Forschung nachweisen und zugänglich machen: Um Politik evidenzbasiert zu gestalten, sollten gewonnene Erkenntnisse der Forschung systematisch aufbereitet, bewertet und öffentlich zugänglich gemacht werden.
Der Zukunftsreport Wissenschaft wird von den Autorinnen und Autoren heute in einer Online-Präsentation vorgestellt. Im Rahmen der Veranstaltung werden ebenfalls Herausforderungen thematisiert, die sich aus der Coronavirus-Pandemie für die Alterns‐ und Lebensverlaufsforschung ergeben.