(DGG) – Durchblutungsstörungen in den Beinen werden oft unterschätzt. Darauf weist die Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin e.V. (DGG) anlässlich ihrer 35. Jahrestagung hin. So haben Patienten, die an der „Schaufensterkrankheit“ leiden, ein vier- bis sechsfach erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall. Welche Warnzeichen zu beachten sind, wohin sich Patienten bei Verdacht wenden sollten und wie der Verlust von Zehen oder Bein abgewendet werden kann, erläutern Experten auf einer Pressekonferenz der DGG am 17. Oktober in Mannheim.
Jeder fünfte über 65-Jährige leidet an der sogenannten Schaufensterkrankheit, einer Durchblutungsstörung in den Beinen. Ursache ist eine Arteriosklerose, eine Gefäßwandverkalkung. Die Schaufensterkrankheit, auch Claudicatio intermittens oder periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) genannt, veranlasst Betroffene, das Gehen aufgrund von Wadenschmerzen immer wieder zu unterbrechen und stehen zu bleiben. „Leider wird die pAVK häufig verharmlost und unterschätzt“, warnt Professor Dr. med. Dittmar Böckler, derzeit Präsident der DGG.
Schaufensterkrankheit häufig Vorbote für Herz- oder Hirninfarkt
Tatsächlich erleiden 70 Prozent der pAVK-Patienten langfristig einen Herzinfarkt, weitere fünf Prozent erliegen einem Schlaganfall. Gefäßmediziner und Gefäßchirurgen betrachten die pAVK deshalb als eine Art Vorboten – als „Marker-Krankheit“ – für Herz- und Hirninfarkt. „Das Risiko für Herzkreislauf-Erkrankungen ist bei pAVK-Patienten um das Vier- bis Sechsfache erhöht“, erläutert Böckler. „Früherkennung ist somit extrem wichtig – und sehr einfach“, fügt der Ärztliche Direktor der Klinik für Gefäßchirurgie und Endovaskuläre Chirurgie am Universitätsklinikum Heidelberg hinzu.
Auf Risikofaktoren und Warnzeichen achten
Patienten mit Risikofaktoren – vor allem Männer in höherem Alter, aktive oder Ex-Raucher, Personen mit Diabetes, Übergewicht und Bluthochdruck – sollten daher rechtzeitig mit Ultraschall untersucht werden. Insbesondere, wenn sich typische Warnsignale der pAVK bemerkbar machen: Schmerzen beim Gehen, nicht heilende Wunden, unterschiedliches Wachstum der Zehennägel an linkem und rechtem Fuß sowie fehlender Haarwuchs am Schienenbein als Hinweis auf eine schlechte Durchblutung. Mitunter kann sogar eine erektile Dysfunktion das erste Symptom einer pAVK sein. „Treten beim Gehen Schmerzen nach sich wiederholender Gehstrecke von beispielsweise 200 Metern immer in der gleichen Muskelgruppe an Wade und Oberschenkel auf, ist eine Schaufensterkrankheit und damit Durchblutungsstörung der Arterien wahrscheinlich“, erläutert DGG-Präsident Böckler.
Wichtigste Technik zur Früherkennung einer pAVK ist die Untersuchung der Fußpulse und eine Doppler-Druckmessung an Arterien an Arm und Knöchel, die den sogenannten Knöchel-Arm-Index oder Ankle-Brachial-Index (ABI) bestimmt. „Diese Untersuchung ähnelt einer Blutdruckmessung mit zusätzlichem Ultraschall“, erläutert Böckler. „Sie ist nicht belastend, beliebig wiederholbar und ohne Risiko beim Hausarzt durchführbar.“ Der ABI-Index aus dem Blutdruck in Unterschenkel und Arm gibt an, wie stark Gefäßablagerungen die Blutzirkulation behindern. „Bei einem ABI-Wert unter 0,9 ist die Diagnose pAVK gesichert“, so Böckler.
Zunächst Lebensstil-Maßnahmen, Geh-Training, Medikamente
In diesem Fall sollten sich die Patienten an einen Gefäßchirurgen und Gefäßmediziner oder Angiologen und Kardiologen wenden. Zunächst steht bei der Schaufensterkrankheit die konservative Therapie im Vordergrund. Sie beinhaltet die Änderung des Lebensstils mit Kontrolle der Risikofaktoren: gesunde Ernährung, körperliche Bewegung, Gewichtabnahme, Nikotinverzicht, Blutdruckkontrolle. „Zudem sollen betroffene Patienten lebenslang ihre Medikamente regelmäßig und pflichtbewusst einnehmen“, erklärt Böckler.
Dazu zählt eine Blutverdünnung mit einem sogenannten Thrombozytenaggregationshemmer wie Acetylsalicylsäure (ASS). „Dieses Medikament senkt das Risiko für einen Gefäßeingriff um 45 Prozent und das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und Tod um ein Drittel“, berichtet der Heidelberger Gefäßchirurg. Zeigt ASS keinen Effekt oder treten Nebenwirkungen auf, kommt alternativ der Blutverdünner Clopidogrel zum Einsatz. Weitere wichtige begleitende Medikament sind Blutdruck- und Blutfettsenker.
Behandlung im Gefäßzentrum kann Amputation abwenden
Entscheidendes Ziel der Therapie einer schweren Durchblutungsstörung ist es, eine Amputation von Zehen, Unter- oder Oberschenkel zu verhindern. Die Chancen dafür stehen umso besser, je früher die pAVK erkannt wird. „Unter einer optimierten medikamentösen Begleittherapie, kombiniert mit einem überwachten strukturierten Geh-Training, liegt die Amputationswahrscheinlichkeit auf zehn Jahre bezogen unter drei Prozent“, so Böckler.
Schreitet die Gefäßerkrankung weiter voran, so dass der Patient nächtliche Ruheschmerzen oder offene Stellen und Wunden entwickelt, stellt die moderne Gefäßmedizin und Gefäßchirurgie eine Vielzahl an Therapieverfahren bereit, um die arterielle Durchblutung des betroffenen Beines wieder zu verbessern. Dafür sollte sich der Patient in ein interdisziplinär aufgestelltes, zertifiziertes Gefäßzentrum begeben. „Dort entscheiden Experten verschiedener gefäßmedizinischer Fachdisziplinen gemeinsam, welche Methode am besten für den Patienten geeignet ist“, meint der DGG-Präsident.
Verengte oder verschlossene Gefäße können mit klassischen offenen Operationen, meist Bypässen, mit minimalinvasiven Eingriffen oder in Kombination beider Verfahren durchgängig gemacht werden. „Neben einer Wiedererlangung der Lebensqualität ist vor allem wichtig, eine Amputation abzuwenden. Denn sie beeinträchtigt nicht nur die Lebensqualität, sondern verkürzt auch die Lebenserwartung. Moderne Gefäßchirurgie kann diese Methoden aus einer Hand anbieten und garantiert somit eine ausgewogene, individualisierte Patientenversorgung“, betont Böckler.