(KIT) – In zwölf bis 18 Kilometern Höhe über dem Mittleren Osten und Asien erstreckt sich die Asiatische Tropopausen-Aerosolschicht (ATAL). Diese Ansammlung von Aerosolen wurde 2011 zum ersten Mal im asiatischen Monsun nachgewiesen, ihre Zusammensetzung und Wirkung waren bisher jedoch nicht erforscht. Ein europäisches Konsortium von Wissenschaftlern konnte nun erstmals zeigen, dass diese Schicht aus kristallinem Ammoniumnitrat besteht. Wie dieses in der oberen Troposphäre entsteht haben die Klimaforscher des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) in der Wolkenkammer AIDA nachgewiesen. Seine Ergebnisse stellt das Konsortium in der Zeitschrift Nature Geoscience vor.
Das Forscherteam hat mit einer hoch spezialisierten Kombination aus Fernerkundungsmessungen, in-situ-Messungen, meteorologischen Modellrechnungen, dezidierten Labormessungen und detaillierten numerischen Simulationen die Verteilung und Zusammensetzung der Aerosole in der ATAL untersucht. Aerosole sind kleinste Schwebeteilchen aus vielfältigen natürlichen und vom Menschen verursachten Quellen. In der Atmosphäre dienen sie als Kondensationskerne, an die sich gasförmiger Wasserdampf anlagert und dadurch Wolkentröpfchen bildet. Das Team konnte nun erstmals ein Forschungsflugzeug in die oberen Stockwerke des asiatischen Monsuns bringen und dort Schlüsselprozesse von globaler Bedeutung erforschen. Die verschiedenen Methoden und Instrumente ergänzten sich so, dass sie die Messwerte gegenseitig bestätigen konnten. Beteiligt waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), des Forschungszentrums Jülich (FZJ), der Johannes Gutenberg-Universität und des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz, des Alfred-Wegener-Instituts, der Bergischen Universität Wuppertal sowie des Laboratoire de Météorologie Dynamique in Paris und des Istituto di Scienze dell’Atmosfera e del Clima in Rom.
„Überraschenderweise konnten wir in weiten Teilen der ATAL kristallines Ammoniumnitrat als Hauptbestandteil nachweisen“, erklärt Dr. Michael Höpfner vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung – Atmosphärische Spurengase und Fernerkundung des KIT. Die unerwarteten Ergebnisse, die unter anderem das Messinstrument GLORIA des KIT und des Forschungszentrums Jülich lieferte, konnten die Klimaforscher in der „Wolkenkammer“ AIDA am KIT bestätigen: „Unsere Experimente zeigten, dass, entgegen der allgemeinen Lehrmeinung, flüssige Ammoniumnitrat-Tröpfchen bei kleinen, hauptsächlich schwefelhaltigen Verunreinigungen und minus 50 Grad zu festen Teilchen kristallisieren, die auch bei den Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsbedingungen der oberen Troposphäre bestehen bleiben“, so Dr. Robert Wagner vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung – Atmosphärische Aerosolforschung des KIT. Mit Satellitenbeobachtungen konnten die Forscher tatsächlich große Mengen Ammoniumnitrat-Aerosole über Asien zurück bis ins Jahr 1997 nachweisen – ein Jahr, in dem die ATAL als noch nicht existent galt.
„Damit haben wir das langjährige Rätsel über die Zusammensetzung der ATAL gelöst“, sagt Michael Höpfner. Denn bisher galt es als unwahrscheinlich, dass dieses Aerosol in solch großen Höhen vorkommt, da Regen das Vorläufergas Ammoniak sehr schnell aus der Atmosphäre wäscht. „Jedoch konnten wir beispiellose Ammoniak-Konzentrationen während des asiatischen Monsuns feststellen: Die Werte sind bis zu 50 Mal höher als in zurückliegenden Messungen“, so Höpfner. Seinen Ursprung hat dieses Ammoniak vor allem in der Landwirtschaft, besonders bei der Viehhaltung und der Düngemittelanwendung. In Asien sind heute die höchsten Ammoniak-Emissionen festzustellen. Während des Monsuns werden die verschmutzen Luftmassen von der Landoberfläche in Höhen bis zu 18 Kilometer transportiert. Hier reagiert Ammoniak zu Ammoniumnitrat, einem Aerosol, das sowohl die Bildung als auch die Eigenschaften von Wolken beeinflusst.
„Unsere Daten beweisen zum ersten Mal, dass Ammoniumnitrat-Aerosole in der oberen Troposphäre während des asiatischen Monsuns allgegenwärtig sind“, sagt Höpfner. Diese Ergebnisse sind vor allem für die Wechselwirkungen von Wolken und Aerosolen wichtig, eine der größten Unsicherheiten in der Klimamodellierung. Zudem belegen sie, dass das am Boden emittierte Ammoniak großen Einfluss auf die Prozesse in der oberen Troposphäre – und möglicherweise das asiatische Klima – hat.
Ammoniak auf der Spur: Messinstrument GLORIA und Wolkenkammer AIDA
Die Flugzeugkampagne war Teil des Projekts StratoClim, in dem 37 wissenschaftliche Organisationen aus elf europäischen Ländern, den USA, Bangladesch, Indien und Nepal unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung zusammenarbeiten. Das Höhenforschungsflugzeug M55-Geophysika trug dabei 25 speziell entwickelte Messinstrumente in Flughöhen von über 20 Kilometern Höhe, etwa zweifach höher als übliche Flugzeuge erreichen können. Ein wesentliches Messinstrument an Bord der Geophysika war das Infrarotspektrometer GLORIA (Gimballed Limb Observer for Radiance Imaging of the Atmosphere), welches die Höhenverteilung unterschiedlichster Spurengase entlang des Flugpfads misst. Bei ihren Flügen hatten die Forscher insbesondere Ammoniak im Blick, da es maßgeblich an der Bildung von Aerosolpartikeln beteiligt ist. GLORIA ist das derzeit einzige Instrument, das Ammoniak in diesen Höhen messen kann.
Mit Daten des Satelliteninstruments MIPAS (Michelson Interferometer for Passive Atmospheric Sounding) des IMK-ASF am KIT, das zwischen 2002 und 2012 gleichzeitig die Höhenverteilung von mehr als 30 Spurengasen vermaß, konnten die Wissenschaftler erstmals simultan die globale Verteilung von Ammoniak und Ammoniumnitrat erfassen. Die Wissenschaftler nutzten für ihre Untersuchungen auch die Anlage AIDA (Aerosol-Interaktionen und -Dynamik in der Atmosphäre) am Campus Nord des KIT. Sie bietet weltweit einzigartige Möglichkeiten, Aerosol- und Wolkenprozesse unter atmosphärischen Bedingungen zu untersuchen. In der Anlage lassen sich alle in der unteren und mittleren Atmosphäre vorkommenden Temperatur- und Druckverhältnisse simulieren.
Sarah Werner