Dresdner Physiker entwickeln widerstandsfreie Stromleitungen aus spröder
Keramik. Bernhard Holzapfel und Ludwig Schultz vom Leibniz-Institut für
Festkörper- und Werkstoffforschung in Dresden bezwingen die Tücken des
spröden Materials und erhalten den Wissenschaftspreis des Stifterverbandes
für die Deutsche Wissenschaft.
Bonn/Berlin – Der diesjährige Wissenschaftspreis des Stifterverbandes für
die Deutsche Wissenschaft in der Kategorie „Gesellschaft braucht
Wissenschaft“ geht auf Vorschlag der Leibniz-Gemeinschaft an Dr. Bernhard
Holzapfel und Prof. Ludwig Schultz vom Leibniz-Institut für Festkörper- und
Werkstoffforschung in Dresden. Das entschied eine hochrangig besetzte Jury
unter Leitung von Prof. Dr. Treusch, Vorstandsvorsitzender des
Forschungszentrums Jülich, kürzlich in Berlin. Die beiden Wissenschaftler
werden für ihre grundlagen- und anwendungsbezogenen Forschungsarbeiten auf
dem Gebiet der Hochtemperatur-supraleiter (HTSL) ausgezeichnet. Die Arbeiten
der beiden Physiker machen zum Beispiel widerstandsfreie Stromleitungen
möglich. Die Preisverleihung findet auf der Jahrestagung der
Leibniz-Gemeinschaft am 23. November 2006 in Berlin statt.
Das Phänomen Supraleitung, also vollkommen verlustfreier Stromtransport,
fasziniert seit der Entdeckung der ersten Supraleiter im Jahre 1911
Wissenschaftler und Laien gleichermaßen. Als vor genau 20 Jahren die
Entdeckung der Hochtemperatur-supraleitung in oxidischen Keramiken durch den
Deutschen Georg Bednorz und den Schweizer Alex Müller bekannt wurde, führte
dies schnell zu euphorischen Anwendungsvisionen in Elektronik, Messtechnik
und Energietechnik. Die damals einsetzende und intensiv öffentlich
geförderte grundlagen- und anwendungs-orientierte Forschung zeigte in den
folgenden Jahren aber sehr deutlich, dass ein harter Weg von der Entdeckung
des Phänomens bis zum Verständnis und zur technologischen Anwendung dieser
Materialklasse zu überwinden ist. Für Anwendungen in der Energietechnik
werden Kilometer lange Drähte und Kabel mit hoher Stromtragfähigkeit
benötigt. Das ist für die Materialklasse der Hochtemperatur-supraleiter
(HTSL) eine materialwissenschaftliche Herausforderung ersten Ranges. Zum
einen lassen sich die spröden Keramiken nicht – wie zum Beispiel
metallisches Kupfer – durch einfache mechanische Verformung zu langen
Drähten ziehen. Zum anderen zeigte sich, dass eine hohe Stromtragfähigkeit
der Hochtemperatur-supraleiter nur in weitgehend einkristallinen Bereichen
möglich ist.
Es mussten also völlig neuartige Technologien entwickelt werden, die die
Herstellung kilometerlanger, nahezu einkristalliner Drähte erlauben. Darüber
hinaus müssen derartige Herstellungstechniken kostengünstig und skalierbar
sein, um den Verdrängungswettbewerb mit dem konventionellen Leitermaterial
Kupfer erfolgreich bestehen zu können. „Aufgrund der von Bernhard Holzapfel
und Ludwig Schultz gemeinsam durchgeführten wegbereitenden
Grundlagenarbeiten für die erfolgreiche Realisierung von HTSL-Bandleitern
hat die Materialforschung auf diesem Gebiet nunmehr einen Stand erreicht,
der eine umfassende technologische Anwendung im Bereich der Energietechnik
realisierbar erscheinen lässt“, heißt es in der Begründung der Jury. Durch
ihre von Beginn an interdisziplinäre Herangehensweise konnten Dr. Bernhard
Holzapfel und Prof. Ludwig Schultz entscheidende Beiträge erarbeiten, die
nunmehr die Basis für die technologische Realisierung von
Hochtemperatur-supraleiterkabeln bilden und aktuell von mehreren Firmen
genutzt werden. Stromkabel auf HTSL-Basis, die verlustfrei Strom leiten,
könnten eines Tages zur Entschärfung der sich abzeichnenden Energiekrise
beitragen. Der zu erwartende praktische Nutzen der Arbeiten ist mit ein
Preiskriterium.
Seit 1990 arbeiten Dr. Bernhard Holzapfel und Prof. Ludwig Schultz, erst bei
der Siemens AG und dann am Leibniz-Institut für Festkörper- und
Werkstoffforschung Dresden, gemeinsam erfolgreich auf dem Gebiet der
Hochtemperatursupraleitung. –Mit dem Wissenschaftspreis des Stifterverbandes
für die Deutsche Wissenschaft in der Kategorie „Gesellschaft braucht
Wissenschaft“ werden Weg weisende wissenschaftliche Arbeiten gewürdigt, die
einen praktischen Nutzen in Wirtschaft, Politik, Gesellschaft oder Forschung
erwarten lassen und von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mindestens
eines Leibniz-Instituts maßgeblich durchgeführt wurden. Die Jury besteht aus
zehn stimmberechtigten Mitgliedern aus Wissenschaft und öffentlichem Leben.