R+V-Studie „Die Ängste der Deutschen 2006“:

Schere zwischen Ost und West geht deutlich auseinander

Steigende Preise wichtigstes Thema aller Deutschen ­ zwei Drittel
stellen Politikern schlechtes Zeugnis aus ­ Terrorangst bleibt auf
hohem Niveau

Berlin, 7. September 2006. "Das Stimmungsbild in Deutschland hat sich
verändert. Die Schere zwischen Ost und West geht erstmals wieder
deutlich auseinander", fasste Rita Jakli, Leiterin des R+V-Infocenters,
heute in Berlin die Ergebnisse der Studie "Die Ängste der Deutschen
2006" zusammen.

Im Westen bessert sich die Stimmung spürbar, gleichzeitig haben die
Ängste in den neuen Bundesländern den höchsten Stand seit 15 Jahren
erreicht: Im Osten Deutschlands haben 55 Prozent der Menschen große
Angst vor der Zukunft. Im Westen dagegen ist die Zahl von 50 auf 43
Prozent gesunken. Im gesamten Bundesgebiet jedoch bestimmen
wirtschaftliche und politische Probleme das Bild: Die Sorge um
steigende Preise, Unzufriedenheit mit den Politikern und hohe
Arbeitslosenzahlen belegen die Plätze 1 bis 3.

Bereits zum 16. Mal hat das R+V-Infocenter in einer repräsentativen
Studie rund 2.400 Deutsche nach ihren größten Ängsten befragt. Das
Ergebnis: Das Gesamtniveau ist von 51 Prozent 2005 auf 45 Prozent in
diesem Jahr gesunken.

Nahezu alle Ängste sind zurückgegangen. Eine Erklärung dafür seien die
seit Herbst 2005 verbesserte wirtschaftspolitische Stimmung und die
Anzeichen eines Wirtschaftsaufschwungs in 2006. Ferner habe sich nach
dem Regierungswechsel von 2005 die Diskussion um sozialpolitische
Themen beruhigt, meint Professor Dr. Manfred G. Schmidt, Politologe an
der Universität Heidelberg und Berater des R+V-Infocenters: "Die
Konflikte werden nicht mehr lautstark zwischen Regierung und Opposition
ausgetragen, sondern überwiegend innerhalb der Regierung. Die
Sozialpolitik wirkt dadurch für die meisten Bürger nicht mehr so
polarisierend und verunsichernd."

Größte Furcht der Deutschen: steigende Preise Platz 2: Unzufriedenheit
mit Politikern Wirtschaftspolitische Themen haben sich 2006 in den
Vordergrund gedrängt.

Ganz oben steht die Furcht vor steigenden Preisen ­ seit Jahren beinahe
durchgängig auf Platz 1. Zudem stellen fast zwei Drittel der Deutschen
den Politikern ein schlechtes Zeugnis aus. Damit hat sich dieses Thema
vom sechsten auf den zweiten Platz nach vorn geschoben. "Dies
unterstreicht den Befund, dass die Politiker in Deutschland insgesamt
kein gutes Image haben.

Auch die politischen Institutionen haben bei der großen Mehrheit der
Wähler keine sonderlich gute Reputation", sagt Professor Schmidt.

Demgegenüber sind die persönlichen Sorgen gesunken, beispielsweise die
Angst, schwer krank oder pflegebedürftig zu werden. Am stärksten
zurückgegangen ist die Furcht, den eigenen Job zu verlieren, mit einem
Minus von 14 Prozentpunkten. Leicht rückläufig ist in diesem Jahr auch
die Angst vor Terrorismus, sie bleibt jedoch mit 41 Prozent auf einem
hohen Niveau.

Ängste im Osten auf Rekordniveau

Während die Stimmung sich im Westen Deutschlands deutlich verbessert
hat, steigt der Angstindex im Osten auf den höchsten Stand seit Beginn
der Befragung vor 15 Jahren. Nach mehreren Jahren der Annäherung
driftet die Stimmungslage in den alten und neuen Bundesländern wieder
weit auseinander ­ mit einem Abstand von 12 Prozentpunkten.

Dieses Ergebnis spiegelt die Wirtschaftslage in den neuen Bundesländern

wider: Beim Thema eigene Arbeitslosigkeit trennen Ost und West 20
Prozentpunkte (67 Prozent gegenüber 47 Prozent), bei der Angst vor
geringerem Lebensstandard im Alter sind es 18 Prozentpunkte, beim
Anstieg der Lebenshaltungskosten 15 Prozentpunkte. Und auch die Kritik
an Politikern ist im Osten mit 14 Prozentpunkten Unterschied deutlich
stärker ausgeprägt.

Professor Schmidt: "Der Wirtschaftsaufschwung geht derzeit am Osten vorbei.

Zugleich sind dort die Erwartungen an den Staat und das Sicherheitsbedürfnis traditionell höher."

Verstärkt wird die Differenz zwischen Ost und West durch weitere Faktoren.

Die Studie zeigt, dass Menschen zuversichtlicher in die Zukunft
blicken, die über ein hohes Haushaltseinkommen verfügen, Wohneigentum
besitzen, einer Religionsgemeinschaft angehören oder sich sehr häufig
im Internet informieren. "Diese Merkmale sind bei den Bürgern in den
neuen Bundesländern unterdurchschnittlich repräsentiert", erklärt Rita
Jakli.

Weitere Ergebnisse der R+V-Studie in Kurzform:

­ Frauen sind ängstlicher als Männer. Besonders groß ist der
Unterschied zwischen den Geschlechtern bei den persönlichen Themen wie
Angst vor schwerer Erkrankung oder der Sorge, im Alter zum Pflegefall
zu werden. In den vergangenen Jahren hatten Männer regelmäßig größere
Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Inzwischen empfinden die Frauen
dieses Problem als ebenso drängend wie die Männer.

­ Berufseinsteiger, junge Paare und Eltern zwischen 20 und 39 Jahren
haben die größten Ängste. Jugendliche zwischen 14 und 19 Jahren sowie
über 60-jährige sind deutlich gelassener.

­ Bildung schützt offenbar vor Angst: Menschen mit Abitur und/oder abgeschlossenem Studium sind zuversichtlicher.