Elektronische Haut zeigt Weg nach Norden
HZDR-Forscher verleihen Menschen mit Sensoren Magnetsinn
Während viele Vögel das Magnetfeld der Erde
wahrnehmen und zur Orientierung einsetzen können, fehlt Menschen diese
nützliche Fähigkeit – bisher zumindest. Denn Forscher des
Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) haben einen elektronischen
Magnetsensor entwickelt, der so empfindlich ist, dass er allein über die
Interaktion mit dem Erdmagnetfeld die Bewegungen eines Körpers im Raum
bestimmen kann. Da der Sensor hauchdünn und flexibel biegbar ist, lässt
er sich problemlos auf der Haut tragen, was sie so gewissermaßen in
einen Kompass verwandelt. Diese „elektronische Haut“ könnte aber nicht
nur bei Problemen mit der Orientierung helfen, sondern auch den Zugang
zur virtuellen Realität vereinfachen. Die Ergebnisse erscheinen nun in
der Zeitschrift Nature Electronics (DOI: 10.1038/s41928-018-0161-6).
Eine einfache Handbewegung nach links: Und schon
setzt sich der virtuelle Panda auf dem Monitor zum unteren linken Rand
in Bewegung. Als die Hand nach rechts schwenkt, vollführt das
schwarz-weiße Tier eine Drehung um 180 Grad. Die Demonstration erinnert
ein bisschen an eine berühmte Szene aus dem Film Minority Report,
in der Hauptdarsteller Tom Cruise nur mit Hilfe von Gesten einen
Computer steuert. Was vor 16 Jahren noch wie Science-Fiction aussah,
konnten die HZDR-Forscher um Dr. Denys Makarov in die Realität umsetzen.
Um den Weg des Pandas zu bestimmen, brauchen sie aber keine klobigen
Handschuhe, sperrigen Brillen oder aufwendige Kamerasysteme. Ihnen
genügt eine nur wenige Tausendstel Millimeter dünne Polymerfolie an
einem Finger – und das Magnetfeld der Erde.
„Auf der Folie haben wir elektronische
Magnetsensoren aufgebracht, die kleinste geomagnetische Felder
detektieren können“, erzählt Erstautor der Studie Gilbert Santiago Cañón
Bermúdez. „Wir reden von 40 bis 60 Mikrotesla – das ist mehr als
1000-mal schwächer als ein üblicher Magnet am Kühlschrank und entspricht
in etwa dem Erdmagnetfeld.“ Dadurch konnten die Wissenschaftler zum
ersten Mal zeigen, dass das natürliche geomagnetische Feld ausreicht, um
virtuelle Objekte berührungslos zu steuern. Bei dem Vorgängermodell
mussten die Physiker noch auf einen externen Permanentmagneten
zurückgreifen: „Indem sie die Position eines Körpers, beispielsweise
einer Hand, in Verbindung zum Erdmagnetfeld setzen, können unsere
Sensoren die Bewegungen aufzeichnen, was es uns erlaubt, sie zu
digitalisieren und in die virtuelle Welt zu übertragen.“
Wie ein normaler Kompass
Das Prinzip hinter den Sensoren, die aus
hauchdünnen Streifen des Metalls Permalloy bestehen, beruht auf dem
sogenannten anisotropen magnetoresistiven Effekt, wie Cañón Bermúdez
erläutert: „Das heißt, dass sich, abhängig von der Orientierung zu einem
äußeren Magnetfeld, der elektrische Widerstand dieser Schichten ändert.
Um sie speziell auf das Erdmagnetfeld auszurichten, haben wir diese
ferromagnetischen Streifen in einem Winkel von 45 Grad mit einem
leitfähigen Material, in unserem Fall Goldplättchen, belegt. Der Strom
kann deshalb nur in diesem Winkel fließen, wodurch die Sensoren am
empfindlichsten in der Nähe besonders kleiner Magnetfelder sind. Die
Spannung ist also am stärksten, wenn die Sensoren auf Norden, und am
schwächsten, wenn sie auf Süden ausgerichtet sind.“ Bei Versuchen in der
freien Natur konnten die Forscher belegen, dass ihre Konfiguration
funktioniert.
Den Sensor am Zeigefinger aufgeklebt, orientierte
sich die Testperson von Norden über Westen nach Süden und zurück – was
dazu führte, dass die elektrische Spannung dementsprechend fiel
beziehungsweise wieder anstieg. Die so angezeigten Himmelsrichtungen
stimmten mit einem gewöhnlichen Kompass, der als Vergleich diente,
überein. „Dies zeigt, dass wir erstmals einen tragbaren Sensor
entwickeln konnten, der die Funktionsweise eines normalen Kompasses
reproduzieren und den Menschen einen künstlichen Magnetsinn verleihen
kann“, schätzt Bermúdez ein. Das ist aber noch nicht alles. Denn den
Physikern gelang es darüber hinaus, das Prinzip in die virtuelle
Realität zu übertragen. Hier konnten sie bei Panda3D, einer Software für
die Produktion von Computerspielen, einen digitalen Panda allein über
ihre Magnetsensoren steuern.
Bei den Versuchen entsprach der Norden einer
Bewegung nach links, der Süden wiederum nach rechts. Befand sich nun die
Hand auf der linken Seite, also im magnetischen Norden, setzte sich der
Panda in der virtuellen Welt dorthin in Bewegung. Schwenkte sie aber in
die entgegengesetzte Richtung, machte auch das Tier eine Kehrtwende.
„Die Detektion des Magnetfelds aus der realen Welt ließ sich direkt in
den virtuellen Bereich übersetzen“, fasst Denys Makarov zusammen. Da die
Sensoren starke Verbiegungen und Verkrümmungen aushalten, ohne
Funktionalität einzubüßen, sehen die Forscher großes Potential für ihre
Entwicklung – nicht nur als Zugang zur virtuellen Realität. „Damit
ließen sich zum Beispiel genauer die Effekte eines Magnetsinnes auf
Menschen untersuchen, ohne auf umständliche experimentelle
Installationen, die oft die Resultate verzerren, zurückgreifen zu
müssen“, gibt Gilbert Santiago Cañón Bermúdez einen Ausblick.
_Publikation:
G.S. Cañón Bermúdez, H. Fuchs, L. Bischoff,
J. Fassbender, D. Makarov: Electronic-skin compasses for geomagnetic
field driven artificial magnetoception and interactive electronics, in Nature Electronics, 2018 (DOI: 10.1038/s41928-018-0161-6)