Selten, aber möglich: Chronischer Rückenschmerz durch Bakterien
fzm, Stuttgart, September 2014 – Mit Antibiotika
gegen chronische Rückenschmerzen vorzugehen – das klingt ungefähr so
effektiv wie der Versuch, mit der Gabel eine Suppe zu essen. Doch belegt
eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Studie aus Dänemark, dass es
bei manchen Patienten tatsächlich eine bakterielle Infektion ist, die
dem Schmerz zugrunde liegt. Was es mit den bakteriell verursachten
Rückenschmerzen auf sich hat, hat die Physio- und Manualtherapeutin
Stephanie Moers im Interview mit dem niedergelassenen Arzt und geprüften
MAST-Therapeuten Mathias Rosenbaum erfragt. Das Gespräch ist in der
Fachzeitschrift „physiopraxis“ (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2014)
dokumentiert.
Das Kürzel MAST steht für „Modic Antibiotic Spine Therapy“ –
und die Erklärung dieses Begriffes führt bereits mitten hinein ins
Thema. Denn der dänischen Studie zufolge sind es ausschließlich
Patienten mit so genannten Modic-Veränderungen an den Wirbelkörpern, die
für eine Antibiotikatherapie infrage kommen. Diese von dem
amerikanischen Neurologen und Radiologen Michael T. Modic erstmals 1988
beschriebenen Veränderungen sind nur im MRT sichtbar und betreffen das
direkt an die Deck- und Bodenplatten der Wirbelkörper angrenzende
Knochenmark.
„Diese Modic-Veränderungen kommen in der Normalbevölkerung zu
rund sechs Prozent vor, bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen
dagegen zu 40 Prozent“, erläutert Mathias Rosenbaum. Bei einigen dieser
Patienten gehen die Veränderungen auf eine Infektion mit dem
Aknebakterium Propionibacterium acnes zurück, das beispielsweise bei
Zahnbehandlungen oder auch bereits beim normalen Zähneputzen in den
Blutkreislauf gelangen kann. Nach einem Bandscheibenvorfall kann das
Bakterium in seltenen Fällen auch in die Bandscheibe eindringen und dort
zu einer chronischen Entzündungsreaktion führen. Eigentlicher Auslöser
der Modic-Veränderung ist in solch einem Fall die von den Aknebakterien
produzierte Propionsäure. Diese löst rotes Knochenmark und korrodiert
Knochentrabekel, wodurch Mikrofrakturen und Ödeme entstehen.
Bei den meisten Patienten gehen die Modic-Veränderungen
jedoch nicht auf eine bakterielle Infektion zurück, sondern haben
mechanische Ursachen. „Die derzeitige Studienlage spricht dafür, dass
höchstens ein Prozent aller Rückenschmerz-Patienten für eine MAST, also
eine Antibiotikatherapie, infrage kommt“, sagt Rosenbaum, der in seiner
Wirbelsäulen-Schwerpunktpraxis derzeit seinen ersten Patienten per MAST
behandelt. Da die Bandscheiben nicht durchblutet sind und das
Antibiotikum nur über den Knochen an den Wirkungsort diffundieren kann,
muss der Patient das Antibiotikum über einen Zeitraum von 100 Tagen
einnehmen. Eine solch aufwändige Therapie sollte keinesfalls einfach auf
Verdacht eingeleitet werden, betont Mathias Rosenbaum – vor allem
angesichts der Tatsache, dass nur ein sehr geringer Teil der Patienten
davon profitiert.
Einen Bluttest, mit dem sich ein bakterieller
Bandscheibenbefall nachweisen ließe, gibt es nicht. Modic-Veränderungen,
die rein durch mechanische Über- oder Fehlbelastung entstanden sind,
sprechen in der Regel jedoch gut auf eine spezifische
physiotherapeutische Behandlung an. Diese sei daher immer die Therapie
der ersten Wahl. Erst wenn der Schmerz länger als sechs Monate bestehen
bleibe und durch die Übungen nicht besser werde, könne eine MAST in
Erwägung gezogen werden, sagt Mathias Rosenbaum. Nur so lasse sich ein
massenhafter Fehlgebrauch der Medikamente vermeiden. Da es noch eine
Reihe weiterer Kriterien zu berücksichtigen gelte, solle die Diagnostik
zudem immer von einem ausgebildeten MAST-Therapeuten vorgenommen werden.
S. Moers
MAST know – Antibiotikatherapie bei Rückenschmerzen
physiopraxis 2014; 7-8: S. 34-37