Stickoxid Grenzwert politisch gesehen

SCHMALLENBERG/HAGEN.   Beim Thema
Feinstaub spielen Autos nicht die Hauptrolle. Ein Schmallenberger
Lungenspezialist hält die Debatte daher für Hysterie.

Nicht nur über E-Auto-Quoten, Fahrverbote und die
Nachrüstung von Diesel-Fahrzeugen wird gestritten, sondern auch über
tatsächliche Gefährdung, die von Stickoxiden und Feinstaub überhaupt ausgeht.
Ein Überblick über den Stand der Forschung und der Diskussion.

Die
Alarmisten

38 000 Menschen seien 2015 vorzeitig gestorben, weil
Dieselfahrzeuge die Abgaswerte nicht eingehalten haben, 11 400 davon in der EU.
Insgesamt seien in dem Jahr durch Stickoxide aus Dieselautos in den größten elf
Autoländern 107 600 Menschen vorzeitig zu Tode gekommen. Das hat ein Team von
Environmental Health Analytics in Washington hochgerechnet.

Der
Skeptiker

„Ich
verstehe die Hysterie um Feinstaub nicht“, sagt Prof. Dieter Köhler. Der
Lungenspezialist, zeitweise Präsident der Deutschen Gesellschaft für
Pneumologie und bis 2013 ärztlicher Direktor des Fachkrankenhauses Kloster
Grafschaft: „In den Mengen, über die wir reden, ist er keine
Gesundheitsgefährdung. Zigarettenrauch hat millionenfach mehr Feinstaub als die
Luft an Hauptverkehrsstraßen.“

Böller
treiben Feinstaubbelastung extrem in die Höhe

Berlin 
Silvesterböller sind nicht nur laut und hell, sie sorgen auch für dicke Luft:
In vielen Städten stieg die Feinstaubbelastung stark an.

Die
Silvesterknallerei hat die Belastung mit gesundheitsschädlichem Feinstaub in
einigen Städten weit in die Höhe getrieben. Wie Messungen des Umweltbundesamtes
zeigen, zündeten die Feiernden in Berlin und Erfurt ihre Böller und Raketen
besonders früh. Während sich der Rest der Republik noch zurückhielt, lagen die
Feinstaub-Werte in beiden Städten schon um 22 Uhr im roten Bereich.

In Berlin, in
Hamburg, München, in Magdeburg und in mehreren Städten des Ruhrgebiets wurden
dann nach Mitternacht Stundenmittelwerte von teilweise mehr als 1000 Mikrogramm
pro Kubikmeter Luft gemessen.

In Berlin hielt
sich die „dicke Luft“ bis 6 Uhr, während sie andernorts schon langsam abklang.
Aus Baden-Württemberg lagen am Neujahrstag noch keine umfassenden Messdaten
vor.

Wie schnell die
Feinstaubbelastung nach dem Silvesterfeuerwerk abklingt, hängt vor allem von
den Wetterverhältnissen ab. Kräftiger Wind hilft, die Schadstoffe rasch zu
verteilen.

Die Probleme der Forscher

Die überwältigende Mehrheit der Wissenschaftler sieht
einen statistischen Zusammenhang zwischen Stickstoffdioxid und negativen
gesundheitlichen Auswirkungen. Allerdings ist es aus mehreren Gründen
schwierig, einen direkten Ursache-Wirkung-Zusammenhang nachzuweisen:
Stickstoffdioxid kann die Bildung von Ozon fördern und zu mehr Feinstaub führen
– beides gefährdet die Atemwege und das Herz-Kreislauf-System –, tritt aber
nicht isoliert auf. Und auch die Kombination findet man in einer so niedrigen
Dosierung, dass auf dieser Basis keine aussagekräftigen Tierversuche möglich
sind. Und die vergleichenden Langzeit-Studien von Bevölkerungsgruppen, die an
stark befahrenen Straßen wohnen und abseits, weisen zwar Unterschiede auf, doch
diese sind gering. „In dieser Größenordnung können kleinste Störfaktoren das
Ergebnis massiv beeinflussen – etwa ob jemand im Monat eine Zigarette mehr
raucht, als er angegeben hat, oder ob er seine Blutdruckmedikamente nicht so
regelmäßig einnimmt wie er sollte“, gibt Dieter Köhler zu bedenken.

Die
Quellen des Feinstaubs

Der
weitaus größte Teil des Feinstaubs in der Luft kommt nicht von Autoabgasen,
sondern hat natürliche Ursachen: Auf- und absteigende Luft wirbelt Dreck auf.
Auch beim Autoverkehr kommt nur der kleinere Teil des Feinstabs aus dem
Auspuff: Reifenabrieb, Verwirbelungen und Bremsen erzeugen deutlich mehr –
daran würden auch Elektroautos nichts ändern. Laut Umweltbundesamt übersteigen
inzwischen die Emissionen aus Holzheizungen die des Straßenverkehrs. In Köln
und Düsseldorf stammt rund ein Viertel der Stickoxide vom Schiffsverkehr auf
dem Rhein. Ein großer Anteil des Feinstaubs stammt auch aus der Landwirtschaft:
Beim großflächigen Düngen mit Gülle wird sehr viel Ammoniak freigesetzt, aus
dem Feinstaub entstehen kann.

Vergleichszahlen

Zwischen
1990 und 2014 haben sich die Stickoxid- und die Feinstaubbelastung mehr als
halbiert: Die Maßnahmen wirken. Die Luft wird sauberer. Die Grenzwerte sind
allerdings sehr unterschiedlich festgelegt: An Straßen dürfen 40 Mikrogramm
Stickstoffdioxid im Kubikmeter Luft sein, am Arbeitsplatz im Innenraum mehr als
20 Mal so viel: 950 Mikrogramm. Kopierer und Laserdrucker sind so betrachtet um
ein Vielfaches gefährlicher als Dieselautos.

Feinstaub

Wissenschaftler vom
Krebsinstitut in Mailand ließen 2004 in einer geschlossenen Garage einen Ford
Mondeo Turbodiesel eine halbe Stunde laufen. Sie maßen Feinstaubwerte, lüfteten
und brannten im gleichen Raum in der gleichen Zeit drei Zigaretten ab. Die Belastung
war zehn Mal so hoch.

Schmallenberger Arzt kritisiert Hysterie um Diesel-Abgase

Die Diskussion um
den Abgas-Skandal hat bundesweit volle Fahrt
aufgenommen. Sie dreht sich um Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge in Großstädten,
um Eintauschprämien und um Strafen für Autobauer – Anlass ist die Sorgen vor zu
viel Stickoxiden und Feinstaub in der Luft, die jeder einatmet. Genau diese
Ängste hält Professor Dieter Köhler für übertrieben und hysterisch. Der
Lungenspezialist plädiert für eine sachlichere und vor allem genauere Debatte.

Welchen
Kraftstoff tanken Sie in Ihr Auto?

Professor Dieter Köhler:
Diesel. Ich habe mich für einen Diesel-Motor entschieden, weil er weniger CO2
produziert. Grundsätzlich würde ich mich auch wieder dafür entscheiden.

Wie kann
ausgerechnet ein Lungenspezialist das angesichts des Abgasskandals sagen?

Ganz
einfach: Feinstaub ist eine der größten Seifenblasen der Forschung. Unter
diesen Begriff fallen auch die Stickoxide, über die wir in der Diesel-Debatte
reden. Ich verstehe diese ganze Hysterie um den Feinstaub nicht. In den Mengen,
über die wir hier reden, ist er keine Gesundheitsgefährdung. Zigarettenrauch
zum Beispiel hat millionenfach mehr Feinstaub als die Luft an
Hauptverkehrsstraßen.

Aber es gibt
eine Reihe von Studien, die dafür sprechen, dass eine hohe Feinstaub-Belastung
die Lebenserwartung verkürzen kann.

Diese
Studien haben aber schwerwiegende Fehler. Verglichen wurden
Bevölkerungsgruppen, die an viel befahrenen Straßen leben und andere, die
abseits wohnen. Die Unterschiede, die dabei festgestellt wurden, sind minimal.
Wir reden hier über Grenzwerte im Mikrogramm-Bereich und einer Erhöhung der
vorzeitigen Todesfälle um 1,05 Prozent. In dieser Größenordnung können kleinste
Störfaktoren das Ergebnis massiv beeinflussen – etwa ob jemand im Monat eine
Zigaretten mehr raucht als er angegeben hat oder ob er seine
Blutdruckmedikamente nicht so regelmäßig einnimmt wie er sollte. Sehr
verdächtig ist auch, dass in den Studien keine Dosisabhängigkeit nachgewiesen
werden konnte. Es gibt keinen Giftstoff, bei denen die Menge keine Rolle
spielt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Feinstaub eine Rolle bei der Sterblichkeit
spielt, ist also extrem gering.

Wenn Sie
damit recht haben – wie erklären Sie sich, dass auch namhafte Wissenschaftler
anders argumentieren?

Es gibt
eine Ideologisierung in der Medizin genauso wie in allen Wissenschaften. Das
vorurteilslose Fragen ist aus der Mode gekommen. Und mit einer
Minderheitsmeinung, die nicht politisch opportun ist, wird man kaum gehört.

Was
wünschen Sie sich für die weiteren Debatten um Diesel-Motoren und Abgaswerte?

Die
Argumente sollten besser ausgetauscht werden und man sollte nicht gleich in
eine ideologische Ecke gestellt werden, sobald man nur den Mund aufmacht. Auch
ich bin gegen den Verbrauch fossiler Energien und für die Reduktion der
Verkehrsdichte sowie von CO2 – aber in Bezug auf Feinstaub und Stickoxide muss
man die Kirche im Dorf lassen und die wirklichen Gefährdungspotentiale so
bewerten, wie sie sind.

DIREKTOR DES FACHKRANKENHAUSES

  • Von 1986 bis 2013 war Professor Dieter Köhler ärztlicher
    Direktor des Fachkrankenhauses Kloster Grafschaft
    , danach ging er
    in den Ruhestand.
  • An der Universität Freiburg hat der Mediziner sich habilitiert
    mit einer Studie über Aerosole – also kleinste Partikel in der
    Luft
    , die umgangssprachlich auch als Feinstaub bezeichnet werden.
  • Als Professor hat Köhler an den Universitäten Freiburg und
    Marburg gelehrt – die Universität Marburg kooperiert in
    der Ausbildung junger Mediziner bereits seit 2012 mit dem Fachkrankenhaus
    Kloster Grafschaft.
  • Außerdem war Köhler zeitweise Präsident der Deutschen
    Gesellschaft für Pneumologie
    .
  • Als fachlicher Berater ist er auch in der
    Bundespolitik gefragt.
  • Köhler lebt in Winkhausen und ist Präsident des
    dortigen Golfclubs
    .

Das
Fazit

Dr.
Ulrich Franck vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig sieht „aus
Kenntnis der Literatur und aus eigenen Studien(…) Hinweise auf eine die
menschliche Gesundheit schädigende Wirkung von Stickstoffdioxid“, schätzt die
Risiken im Vergleich zu anderen Risiken allerdings als geringer ein. Prof. Nino
Künzli vom Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut in Basel hält
eine „auch mit weniger Stickoxiden belastete Stadtluft für gesünder“. Das alles
heißt: Weniger verbrannte fossile Energien, weniger Verkehr und sauberere Luft
sind besser. Aber Diesel-Pkw-Abgase sind, anders als man derzeit den Eindruck
haben könnte, keines unserer wichtigsten Gesundheits-Probleme.