Gemeinsame Pressemitteilung AWI und BMBF
Ein Jahr eingefroren in der Arktis
Internationale MOSAiC-Expedition mit deutschem Forschungsschiff Polarstern startet im Herbst 2019
Bremerhaven/Berlin, 27. Juni 2018. Es wird die größte
Arktis-Forschungsexpedition aller Zeiten: Im September 2019 wird der
deutsche Forschungseisbrecher Polarstern vom norwegischen Tromsø in die
Arktis aufbrechen und ein Jahr lang fest eingefroren im arktischen Eis
durch das Nordpolarmeer driften. Versorgt von weiteren Eisbrechern und
Flugzeugen werden insgesamt 600 Menschen aus 17 Ländern an der
Expedition teilnehmen. Ein Vielfaches an Wissenschaftlern wird mit den
Daten arbeiten, um die Klima- und Ökosystemforschung auf ein neues
Niveau zu heben. Geleitet wird die Mission vom Alfred-Wegener-Institut,
Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI).
Vor 125 Jahren brach Fridtjof Nansen mit seinem Segelschiff Fram zur
ersten Drift-Expedition dieser Art auf. Doch eine Expedition wie die
jetzt geplante hat es noch nie gegeben: MOSAiC bringt erstmals einen
modernen Forschungseisbrecher beladen mit wissenschaftlichen
Instrumenten im Winter in die Nähe des Nordpols. Vier weitere Eisbrecher
werden zur logistischen Unterstützung eingesetzt werden. Für
Versorgungsflüge und zwei Forschungsflugzeuge wird eigens eine Landebahn
eingerichtet. Darüber hinaus werden Helikopter, Raupenfahrzeuge und
Schneemobile zum Einsatz kommen. Diese aufwändige Polarmission ist
nötig, um in der im Winter nahezu unerreichbaren Region dringend
benötigte Daten für die Klimaforschung zu erheben. Diese werden der
Menschheit neue Einblicke in die Austauschprozesse zwischen Ozean, Eis
und Atmosphäre erlauben. Der Einfluss der arktischen Regionen auf unser
Klima ist gewaltig und derzeit unzureichend verstanden.
„Die Erkenntnisse, die aus der MOSAiC-Expedition resultieren, werden
unser Wissen über die Arktis auf ein neues Niveau heben. Wir brauchen
diese Daten dringend, um die Auswirkungen des weltweiten Klimawandels
genauer zu verstehen und unsere Prognosen zu verbessern“, sagt
Bundesforschungsministerin Anja Karliczek. Deutschland hat mit dem
Alfred-Wegener-Institut ein weltweit führendes Zentrum der
Polarforschung mit langjährigen internationalen Kontakten. „Dem AWI ist
es gelungen, führende Arktisforschungseinrichtungen der Welt zu diesem
einmaligen Vorhaben zusammenzubringen“, so die Ministerin weiter. Auch
auf politischer Ebene wird mit Blick auf die Arktisforschung
international zusammengearbeitet. Unter dem Motto „Arctic Science,
Challenges and Joint Actions“ werden Deutschland, die Europäische
Kommission und Finnland im Herbst 2018 in Berlin die zweite
Wissenschaftsministerkonferenz zur Arktisforschung ausrichten.
Repräsentanten aus 30 Nationen und Regionen, in der Mehrzahl
Ministerinnen und Minister, werden unter Beteiligung von Vertreterinnen
und Vertretern der indigenen Völker der Arktis die Arktisforschung der
Zukunft diskutieren.
Bei der MOSAiC-Expedition bestimmt allein die Naturgewalt des driftenden
Meereises die Route, auf der das Forschungsschiff Polarstern jenseits
des Polarkreises unterwegs sein wird. Eisbrecher aus Russland, China und
Schweden werden die Scholle anlaufen, um die Expedition mit Treibstoff
zu versorgen und Personal auszutauschen. „Ein solches Vorhaben gelingt
nur durch internationale Zusammenarbeit“, erläutert Prof. Antje Boetius,
Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts. Neben der Polarstern entsteht
auf der mindestens 1,5 Meter dicken Eisscholle ein Netzwerk
verschiedener Forschungscamps. Hier richten die verschiedenen Teams
Messstellen ein, um Ozean, Eis und Atmosphäre sowie das arktische Leben
im Winter zu erforschen. „Was in der Arktis passiert, bleibt nicht in
der Arktis. Die Klimaentwicklung in unseren Breiten hängt entscheidend
vom Geschehen in der Wetterküche der Arktis ab. Wir müssen jetzt
hinsehen und die Wechselwirkung zwischen Atmosphäre, Eis und Ozean dort
erforschen“, sagt Expeditionsleiter und Koordinator des MOSAiC Projekts
Prof. Markus Rex, Leiter der Atmosphärenforschung am
Alfred-Wegener-Institut. „Und die arktische Polarnacht spielt eine
Schlüsselrolle für die Anpassung des Lebens, wir erwarten also auch für
die Biologie ganz neue Erkenntnisse“, ordnet Boetius das Großprojekt
ein. Die Expedition hat fünf Forschungsschwerpunkte: die Physik des
Meereises und der Schneeauflage, die Prozesse in der Atmosphäre sowie im
Ozean, die biogeochemischen Kreisläufe und das Ökosystem der Arktis.
Die Arktis gilt als Frühwarnsystem für den Klimawandel. Das dunkle
Wasser nimmt mehr Energie auf als Eis, welches die Sonnenstrahlung
reflektiert, und durch das dünnere Eis gelangt mehr Wärme aus dem
relativ warmen Ozean an die Oberfläche und in die Atmosphäre. So
verstärken Rückkopplungseffekte die Erwärmung der Arktis erheblich. Es
fehlen die Beobachtungen, um die einzelnen Vorgänge im Ozean, im Meereis
und in der Atmosphäre sowie deren Wechselwirkungen zu verstehen und in
unseren Klimamodellen quantitativ zu beschreiben. „Die Dramatik der
Erwärmung in der Arktis wird in den heutigen Klimamodellen nicht in
vollem Umfang wiedergegeben und die Unsicherheiten der Klimaprognosen
für die Arktis sind enorm“, beschreibt Markus Rex die aktuellen Lücken.
„Deshalb müssen wir vor allem im Winter die Prozesse im Klimageschehen
umfassend studieren“, so der AWI-Atmosphärenforscher. Und was in der
Arktis passiert, wirkt sich auch heute schon in Europa, Asien und
Nordamerika aus: Geringere Temperaturunterschiede zwischen Arktis und
Tropen destabilisieren die typischen Luftdruckmuster, sodass polare
Kaltluft in die gemäßigten Breiten gelangt und Vorstöße von warmer,
feuchter Luft in die zentrale Arktis hinein verstärkt zur Beschleunigung
der Erwärmung beitragen.
Das Budget der Expedition beträgt über 120 Millionen Euro, das von den
teilnehmenden internationalen Partnern, vor allem aber über die
Helmholtz-Gemeinschaft und damit zu 90 Prozent vom Bundesministerium für
Bildung und Forschung (BMBF) getragen wird. Auch wenn es bis zum
Expeditionsstart selbst noch etwa ein Jahr hin ist, begannen erste
Planungen bereits im Jahr 2011. Nun gehen die Vorbereitungen in die
letzte heiße Phase. Der Countdown für die spektakulärste
Arktisexpedition unserer Zeit beginnt.