Gen-Forschung der Spitzenklasse

Gen-Forschung der Spitzenklasse – Lepra eröffnet tiefe Einblicke in menschliche DNA

Erste Fall-Kontroll-Studie
an mittelalterlichem Erbgut bietet neue Erkenntnisse über historische
Epidemien und deren mögliche Auswirkungen auf heutige
Entzündungskrankheiten

Lepra war bis ins späte
Mittelalter weit verbreitet. Im 16. Jahrhundert verschwand die
ansteckende Infektionskrankheit fast vollständig aus Europa, noch bevor
Antibiotika für die medizinische Behandlung erfunden waren. Die
genetische Ausstattung des Bakteriums Mycobacterium leprae änderte sich im Laufe der Zeit nicht wesentlich, stattdessen wird nun
vermutet, dass sich das Genom von Europäerinnen und Europäern angepasst
hat. Zu diesem Ergebnis kommt ein internationales Forschungsteam unter
Leitung von Professor Ben Krause-Kyora vom Institut für Klinische
Molekularbiologie (IKMB) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
(CAU).

Weltweit erkranken jedes
Jahr noch über 200.000 Menschen an der inzwischen heilbaren Krankheit,
vor allem in Brasilien, Indien und Indonesien. Während der Epidemie im
europäischen Mittelalter wurden Betroffene in Pflegeeinrichtungen
isoliert und auf separaten Friedhöfen begraben. Die Knochen von 85
besonders schwerwiegenden Lepra-Fällen aus dem 12. und 13. Jahrhundert
in Odense, Dänemark, dienten dem Forschungsteam als Ausgangsmaterial für
die weltweit erste auf alter DNA (aDNA) basierende
Fall-Kontroll-Studie. Ihre Proben verglichen sie mit Proben von 223
mittelalterlichen dänischen und norddeutschen Skeletten, die keine
Spuren von Lepra aufwiesen. Professorin Almut Nebel (IKMB), Professor
Jesper L. Boldsen von der Universität Süddänemark und Dr. Tobias Lenz
vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön beteiligten sich
maßgeblich an der Arbeit. Auch Wissenschaftler der Universität zu Köln
waren Teil des Teams. Gemeinsam wollten sie herausfinden, wie die
Krankheit aus Europa verschwand und wie sich diese Entwicklung genetisch
auf uns auswirkte.  

Anders als in der modernen
Genetik gibt es für die Untersuchung von aDNA keine automatisierten
Methoden. Um das Archivmaterial aus Ausgrabungen zu untersuchen, war
also „Handarbeit“ gefragt, wie Krause-Kyora berichtet. Die Forschenden
befreiten die Proben aus Odense und vom Landesmuseum Schloss Gottorf
zunächst von jeglichen Verunreinigungen. Etwa 50 bis 100 Milligramm
Material von Zähnen und Schädelknochen wurden anschließend im Labor für
Alte DNA analysiert. In den Zähnen fanden die Wissenschaftler und
Wissenschaftlerinnen bis zu fünf Prozent menschlicher DNA, die pathogene
Lepra-DNA lag sogar nur im Promillebereich vor. „Dies ist tatsächlich
eine ordentliche Ausbeute. Wir hatten eine hohe Erfolgsquote, weil das
Material sehr gut erhalten ist“, freut sich Krause-Kyora, der als
aDNA-Experte auch Mitantragsteller beim Verbundprojekt ROOTS der
aktuellen Exzellenzstrategie der CAU ist. 

Ihre Analysen zeigen, dass
eine bestimmte Variante des Immun-Gens HLA- DRB1 die Menschen anfälliger
für Lepra machte. Dadurch, dass die Menschen isoliert wurden und
aufgrund der Erkrankung keine Nachkommen bekommen konnten, gaben sie
diesen Risikofaktor nicht weiter. „Die Anpassung des Menschen an dieses
Bakterium über Jahrhunderte könnte dazu geführt haben, dass die
Krankheit langsam verschwand“, erklärt Krause-Kyora, „Dies spricht
dafür, dass die Lepra und auch andere Epidemien der Vergangenheit die
heutige Zusammensetzung unseres Genoms nachhaltig beeinflussten.“

Die HLA-Variante wird heute
mit dem Auftreten von Entzündungskrankheiten in Verbindung gesetzt, wie
Sarkoidose, Colitis ulcerosa, Multiple Sklerose oder auch Typ 1
Diabetes. Das HLA-Antigen führt unter anderem zur Erkennung von
Bakterien und löst eine gezielte Immunreaktion des Körpers aus.
Besonders schlecht gelingt diese Aufgabe der identifizierten
HLA-Variante beim Leprabakterium. Somit kommt es möglicherweise zu einer
weniger erfolgreichen Immunreaktion. „Neben der Genetik spielen auch
Umweltfaktoren eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Erkrankungen“,
sagt Krause-Kyora. „Dennoch ist die Erforschung von historischen
Krankheitsursachen entscheidend, um die Wechselwirkungen zwischen
Krankheitserregern und Mensch, und die daraus resultierenden
Veränderungen in unserem Genom über die Zeit, zu verstehen. Hierbei
stellt unsere Studie einen enormen Fortschritt dar“, ergänzt Lenz,
Leiter der Forschungsgruppe Evolutionäre Immungenomik am MPI für
Evolutionsbiologie in Plön. Die Untersuchung von weiteren Genen des
Menschen sei erforderlich.

Schon jetzt konnte das Team
zehn komplette Lepra-Genome sequenzieren, die belegen, dass die
Diversität des Bakteriums in Odense sehr hoch war. Das heißt, dass mit
infizierten Trägern nicht nur ein Bakterienstamm nach Dänemark gelangt
ist, sondern mehrere aus unterschiedlichen Gegenden. „Eine große
Überraschung“, wie Krause-Kyora betont, denn bisher wussten sie nur von
einem Bakterienstamm in der Region. In Zukunft möchte das Team weitere
Erkrankungen des Mittelalters in verschiedenen Bevölkerungsgruppen
erforschen und dadurch verfolgen, wie sich das Erbgut von Europäerinnen
und Europäern verändert hat.

Originalpublikation:

Ancient DNA study reveals HLA susceptibility