ein Forschungsteam unter Federführung
des Helmholtz Zentrums München und der Technischen Universität München
(TUM) hat in ‚Nature Communications‘ ein neues Modell vorgestellt, um
den Magnetsinn zu untersuchen. Ihre Studien an Fischen ermöglichten
sowohl die Messung von Gehirnaktivierung durch Magnetfeldstimulation als
auch den Nachweis, dass der Magnetsinn auch in Dunkelheit funktioniert.
Als Magnetsinn wird die Fähigkeit von Tieren
bezeichnet, das Magnetfeld der Erde wahrzunehmen und für die Navigation
zu nutzen. Wie das genau funktioniert, ist bisher aber nicht verstanden.
„Dabei könnte dieses Wissen abseits der neurowissenschaftlichen Neugier
zu neuen molekularen Methoden führen“, erklärt Prof. Dr. Gil Gregor
Westmeyer. Er ist der Leiter der aktuellen Forschungsarbeit an der
Schnittstelle von molekularer Bildgebung und Neurowissenschaften und ist
mit seiner Arbeitsgruppe sowohl an das Helmholtz Zentrum München als
auch an die TUM angebunden. „Wäre es möglich, den Mechanismus
nachzubauen, könnte man vermutlich Zellen durch magnetische Impulse
steuern und beispielsweise dazu bringen, bestimmte Botenstoffe
auszuschütten.“ Um an diesen Punkt zu gelangen, suchten Westmeyer und
sein Team nach einem Modell, um den Magnetsinn zu ergründen.
Die Wissenschaftler konzentrierten ihre Arbeit
auf den Zebrafisch und dessen Verwandten den Medaka (Japanischer
Reisfisch). Beide sind genetisch gut erforscht und können mikroskopisch
gut analysiert werden.* In einer Testarena, in dem das Magnetfeld mit
Hilfe sogenannter Helmholtz-Spulen** verändert werden kann, untersuchten
die Forscher das Schwimmverhalten. Dabei fanden sie heraus, dass
ausgewachsene Fische beider Arten (bei ansonsten gleich bleibenden
Bedingungen) ihre Ausrichtung abhängig vom Magnetfeld änderten. Dieser
Effekt trat auch in Dunkelheit auf, sodass auch ein lichtunabhängiger
Mechanismus angenommen werden muss.
„In diesem Modell können wir nun nach den
bisher nicht identifizierten Magnetrezeptorzellen suchen, von denen
unsere Verhaltensexperimente gemäß der Theorie vorhersagen, dass sie
magnetisches Material beinhalten sollten“, erklärt Doktorandin Ahne
Myklatun, eine der Erstautorinnen der Arbeit.
Darüber hinaus konnten die Forscher einen
ähnlichen Magnetfeld-abhängigen Effekt in jungen Fischen zeigen. „Das
ist ein entscheidender Vorteil, denn in ihren frühen Entwicklungsstadien
sind die Fische noch nahezu durchsichtig“, erklärt Postdoktorandin Dr.
Antonella Lauri, die andere Erstautorin der Arbeit. „Auf diese Weise
können wir mit bildgebenden Verfahren möglicherweise herausfinden,
welche Hirnregionen aktiv sind, während sie sich anhand des Magnetfeldes
orientieren.“ Eine Kandidatenregion für die Verarbeitung dieser
Prozesse im Gehirn konnten die Wissenschaftler bereits identifizieren –
eine Spur, die auch zu den unbekannten Magnetrezeptorzellen führen
könnte.
Gil Gregor Westmeyer, Leiter der vom
Europäischen Forschungsrat (ERC) geförderten Studie fasst zusammen: „Der
Magnetsinn ist einer der wenigen noch unverstandenen Sinne auf der
Welt. Diese Art multidisziplinärer Arbeit wird letztendlich zum
Verständnis seines biophysikalischen Mechanismus und zu den ihm
zugrundeliegenden neuronalen Berechnungen beitragen. Die dabei
gewonnenen Erkenntnisse könnten auch interessante Lösungsansätze für
unsere Forschungsarbeit bieten, Systeme zur Fernsteuerung von
molekularen Prozessen mit Magnetfeldern zu entwickeln."
Weitere Informationen
* Kürzlich ist es Westmeyer und seinem Team
gelungen ein Open Source-Mikroskop zu entwickeln (NeuBtracker.org), das
es erstmals erlaubt, neuronale Aktivitäten des Modellorganismus
Zebrafisch zu beobachten, während dieser sich frei bewegt.
** Als Helmholtz-Spule bezeichnet man eine
besondere Spulenanordnung, die auf den deutschen Physiker Hermann von
Helmholtz (1821–1894) zurückgeht. Durch die Überlagerung mehrerer
Einzelmagnetfelder ergibt sich zwischen den Spulen nahe der Spulenachse
ein Bereich mit weitgehend homogenem Magnetfeld, das für Experimente
frei zugänglich ist.
Hintergrund:
Langfristig
möchte das Team die Erkenntnisse für neue Techniken der Magnetogenetik
einsetzen, ein innovatives Forschungsprogramm das wohl auch im neuen Helmholtz Pioneer Campus (HPC) eine Rolle spielen könnte. Hier wollen Forscher verschiedener
Disziplinen miteinander an neuen Lösungen für medizinische
Fragestellungen arbeiten. „So wäre es beispielsweise im Diabetes-Kontext
denkbar, Zellen zu entwickeln, die durch einen Magneten dazu gebracht
werden, Insulin auszuschütten“, so Westmeyer.
An der Arbeit waren auch Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler der Universitäten Oldenburg und Hohenheim sowie der
Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) beteiligt. Prof. Dr. Gil Gregor
Westmeyer ist Helmholtz-seitig an die Institute für Biologische und
Medizinische Bildgebung (IBMI) und Entwicklungsgenetik (IDG) angebunden.
Darüber hinaus arbeitet er an der Nuklearmedizinischen Klinik und
Munich School of Bioengineering (MSB) der Technischen Universität
München (TUM).
Original-Publikation: