Gensequenzen beider Elternteile
Bei der Analyse des
menschlichen Genoms blieben Forscher bisher eine Antwort schuldig: Sie
konnten nicht sagen, wie sich die beiden von Mutter und Vater vererbten
Varianten eines Gens unterscheiden. Dabei erhöht diese Information die
Wahrscheinlichkeit, bestimmte Krankheiten erfolgreich zu behandeln. Die
so genannte dritte Generation von Sequenzierungstechnologien macht dies
nun möglich. Eines der wichtigsten Hilfsmittel für dieses komplexe
Puzzle: Eine spezielle Software, entwickelt von Wissenschaftlern am
Zentrum für Bioinformatik der Universität des Saarlandes. Die
renommierte Fachzeitschrift „Nature Communications“ berichtet daher
gleich zweimal über ihre Forschung.
Den Menschen
machen 46 Chromosomen aus. Sie tragen die Gene und definieren das
Erbgut, das sogenannte Genom. Damit sich die Anzahl der Chromosomen
nicht von Generation zu Generation verdoppelt, sind lediglich 23
Chromosomen in der männlichen und weiblichen Keimzelle enthalten, die zu
einer befruchteten Eizelle und damit neuem Leben verschmelzen. Diesen
halben Chromosomensatz bezeichnet man als „haploid“. „Welche
Genvarianten ich von meinem Vater oder meiner Mutter erhalte, kann
darüber entscheiden, ob ich krank werde und auch, wie ich am besten
medizinisch behandelt werden kann“, erklärt Tobias Marschall, Professor
für Bioinformatik an der Universität des Saarlandes. Dort leitet er die
Gruppe „Algorithms for Computational Genomics“ am Zentrum für
Bioinformatik.
Analysieren zu können, welche Genvarianten von
welchem Elternteil vererbt wurden und damit den sogenannten Haplotyp zu
bestimmen, ist der neue Quantensprung bei der Sequenzierung des
menschlichen Genoms. Zwei Entwicklungen sind hierfür entscheidend: Zum
einen liefern die sogenannten Sequenziertechnologien der dritten
Generation, etabliert von Unternehmen wie Oxford Nanopore, 10x Genomics
und Pacific Biosciences, eine andere Art von Gendaten. „Durch sie
bekommen wir nun viel längere Gen-Schnipsel und können damit nun endlich
das praktizieren, was wir in der Theorie schon lange studiert haben“,
so Marschall. An der zweiten Voraussetzung ist er aktiv beteiligt. Er
entwickelt die Rechenverfahren, die diese Gendatenberge beherrschbar
machen. Ein Teil davon ist auch in die Software eingeflossen, die
Marschall mit seinen Kollegen entwickelt und auf den Namen „WhatsHap“
getauft hat.
„Stellen sie sich ein äußerst schwieriges Puzzle
vor. Mit ‚WhatsHap‘ lösen wir gleich zwei davon und zwar gleichzeitig“,
umschreibt Marschall das Vorgehen der Software. Der Bioinformatiker ist
überzeugt, dass mit Hilfe solcher Programme in absehbarer Zeit die
Bestimmung des Haplotyps ebenso zu einer Routineuntersuchung in
Krankenhäusern wird, wie es die Bestimmung der Blutgruppe bereits heute
ist. Die beiden Aufsätze in der Fachzeitschrift „Nature Communications“
sind für ihn dafür der erste Meilenstein.
Die Relevanz dieser
Arbeiten bekräftigte auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG),
indem sie vergangene Woche die finanzielle Förderung von gleich zwei
Projekten bekannt gab, die mit „WhatsHap“ zusammenhängen. Im ersten
Projekt wird Professor Marschall gemeinsam mit Professor Gunnar Klau von
der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf an noch leistungsfähigeren
Rechenverfahren zur Haplotypisierung arbeiten. Im zweiten Projekt
fördert die DFG im Rahmen der Initiative „Nachhaltigkeit von
Forschungssoftware“ die dauerhafte Pflege der WhatsHap-Software und
ebnet so den Weg in den klinischen Alltag. Insgesamt stehen für diese
Projekte 800.000 Euro zur Verfügung, von denen 550.000 Euro an die
Saar-Uni fließen, um dort neue Stellen für Forscher und Entwickler zu
schaffen.
Hintergrund: Saarland Informatics Campus (SIC)
Den Kern des Saarland Informatics Campus bildet die Fachrichtung
Informatik an der Universität des Saarlandes. In unmittelbarer Nähe
forschen auf dem Campus sieben weitere, weltweit renommierte
Forschungsinstitute. Neben den beiden Max-Planck-Instituten für
Informatik und Softwaresysteme sind dies das Deutsche Forschungszentrum
für Künstliche Intelligenz (DFKI), das Zentrum für Bioinformatik, das
Intel Visual Computing Institute, das CISPA Helmholtz-Zentrum i.G. und
der Exzellenzcluster „Multimodal Computing and Interaction“, kurz MMCI.