Wind und warmes Wasser treiben Rückzug des Westantarktischen Eisschildes vora

Wind und warmes Wasser treiben Rückzug des Westantarktischen Eisschildes voran
Neue
geologische Studie erklärt die Ursachen des Schelfeis- und
Gletscherrückzuges vor 7500 Jahren und verbessert das Verständnis der
aktuellen Eisverluste in der Westantarktis

Bremerhaven, 6. Juli
2017. Wandernde Westwinde und warmes Tiefenwasser sind die treibenden
Kräfte hinter dem zunehmenden Eismassenverlust in der Westantarktis. Zu
diesem Ergebnis kommt ein internationales Geologenteam, dessen Studie
heute im Fachmagazin Nature erschienen ist. Die Wissenschaftler aus
Deutschland, Großbritannien, Dänemark und Norwegen hatten mit Hilfe von
Sedimentkernen das Zusammenspiel von Ozean und Eisströmen im
Amundsenmeer für die zurückliegenden 11.000 Jahre rekonstruiert und
deutliche Parallelen zwischen den aktuellen Ereignissen und großen
Eisverlusten vor mehr als 7500 Jahren entdeckt. Die neuen Daten sollen
nun helfen, die zukünftige Entwicklung des Westantarktischen Eisschildes
besser vorherzusagen.

Mit ihren neuen Erkenntnissen füllen die
Wissenschaftler eine entscheidende Lücke in der Klima- und
Eismodellierung. „Bisher wurde immer nur spekuliert, wer oder was in der
geologischen Vergangenheit den Rückzug der Eisströme im Amundsenmeer
vorangetrieben hat. Eindeutige Beweise hatte man nicht, was zu
Unsicherheiten in der Modellierung geführt hat. Wir können jetzt mit
unseren Daten belegen, dass es damals wie heute warmes Tiefenwasser ist,
welches auf den Kontinentalschelf strömt und die Eismassen von unten
schmilzt. Auf Basis dieser Fakten können wir nun die Modelle validieren
und ihre Vorhersagegenauigkeit entscheidend verbessern“, sagt Geologe
und Koautor der Studie Dr. Johann Klages vom Alfred-Wegener-Institut,
Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI).

Für ihre
Studie hatten die Wissenschaftler Sedimentkerne analysiert, die im Jahr
2010 auf einer Expedition des deutschen Forschungseisbrechers Polarstern
in die Pine Island-Bucht des Amundsenmeeres geborgen worden waren. Die
Bodenproben enthielten Überreste winziger Meeresorganismen, sogenannter
Foraminiferen. Der geochemische Fingerabdruck ihrer Kalkschalen erlaubt
Rückschlüsse auf die Umweltbedingungen zu Lebzeiten der Tiere. Auf diese
Weise gelang es den Forschern, die Temperatur-, Strömungs- und
Eisverhältnisse im Amundsenmeer für die zurückliegenden 11.000 Jahre zu
rekonstruieren.

„In diesem Zeitraum haben sich die Schelfeise
und Gletscher der Region zweimal stark zurückgezogen. Der erste Rückzug
vollzog sich bis vor etwa 7500 Jahren, bevor das Eis wieder stagnierte.
In den 1940er Jahren setzte dann der zweite Rückzug ein. Er hält bis
heute an und macht das Amundsenmeer zu einem Hotspot des Klimawandels“,
sagt AWI-Geologe und Koautor Dr. Gerhard Kuhn.

Die in das
Amundsenmeer mündenden Gletscher und Eisströme verlieren inzwischen so
viel Eis, dass sie allein zehn Prozent des globalen
Meeresspiegelanstieges verursachen. Weltweite Aufmerksamkeit erregen vor
allem der Pine Island-Gletscher und der Thwaites-Gletscher. Beide haben
ihr Fließtempo und ihre Rückzugsraten in den vergangenen Jahrzehnten
enorm gesteigert. Zusammen genommen speichern die Eisströme der Region
so viel Eis, dass sie im Falle ihres Abschmelzens den Meeresspiegel um
1,2 Meter ansteigen lassen könnten.

„Eine der derzeit drängenden
Fragen lautet, wie werden sich diese Gletscher in der Zukunft verhalten.
Jetzt, wo wir genauer verstehen, wie die Eismassen in der Vergangenheit
reagiert haben, können wir uns ein besseres Bild davon machen, was
derzeit geschieht“, sagt Erstautor Dr. Claus-Dieter Hillenbrand vom
British Antarctic Survey.

Die neuen geologischen Daten zeigen im
Kern, dass seit dem Ende der letzten Eiszeit warmes Tiefenwasser in die
Pine Island Bucht geströmt ist. Infolgedessen schrumpften den Eismassen
so lange, bis sich vor 7500 Jahren die Westwinde nordwärts verlagerten
und der Warmwasser-Einstrom abbrach. „In den 1940-Jahren sind die Winde
dann wieder Richtung Süden gewandert, woraufhin der Warmwassereinstrom
erneut einsetzte. Er hält bis heute an und ist verantwortlich für die
Eisverluste, die wir derzeit in der Westantarktis beobachten“, sagt
Koautor Dr. James Smith vom British Antarctic Survey.

An der Studie waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler folgender Institutionen beteiligt:
• British Antarctic Survey,
• Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung,
• Universitäten in Cambridge, Leicester, Exeter, Kopenhagen und Tromsø,
• British Geological Survey,
• University College London.