Auf die Größe kommt es an – Warum kleine Lungen öfter erkranken
Seit mehr
als zehn Jahren untersuchen Lungenforscher und Epidemiologen am
Helmholtz Zentrum München im Rahmen von internationalen Konsortien die
Frage, ob bestimmte Abschnitte im Erbgut mit Lungenfunktion und
-erkrankungen zusammenhängen. Auch an einer jüngst in ‚Nature Genetics‘
veröffentlichten Studie waren sie wieder beteiligt und konnten zeigen,
warum Menschen mit einer kleineren Lunge ein erhöhtes Risiko für
Lungenerkrankungen besitzen. Zudem lässt sich anhand der Gene demnach
das Risiko für eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)
vorhersagen.
Lungenerkrankungen sind nach wie vor eine große gesundheitliche
Herausforderung für unsere Gesellschaft, und allein die COPD ist die
dritthäufigste Todesursache weltweit. Um effiziente Therapien zu
entwickeln, arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler daran, die
grundlegenden Mechanismen in der Lunge zu verstehen. Das Wechselspiel
zwischen Genen und Umwelt gerät dabei immer mehr in den Fokus.
Forscher des SpiroMeta Konsortiums haben über Jahre hinweg zahlreiche
Bereiche im Erbgut ermittelt, die für die Funktion der Lunge eine Rolle
spielen. Von Beginn an dabei ist auch die Gruppe um Prof. Dr. Holger
Schulz, kommissarischer Direktor des Instituts für Epidemiologie I (EPI
I) am Helmholtz Zentrum München. „Seit dem Beginn des Projekts im Jahr
2007 konnten wir das Wissen über lungenrelevante Gene entscheidend
erweitern“, so Schulz im Rückblick. „Nach wie vor interessiert uns vor
allem der Zusammenhang bestimmter Gene mit der Lungenfunktion, da
bekannt ist, dass lungengesunde Menschen mit einer kleineren Lunge ein
erhöhtes Risiko für Lungenerkrankungen besitzen.“
Weltgrößte Studie zur Genetik von Lungenerkrankungen
In der aktuellen Arbeit des Konsortiums, an der die
Helmholtz-Wissenschaftler auch wieder beteiligt sind, ergaben sich
genetische Hinweise, warum das so sein könnte. Dr. Christian Gieger,
Leiter der Abteilung für Molekulare Epidemiologie (AME) am Helmholtz
Zentrum München, erklärt dazu: „Wir konnten Genvarianten identifizieren,
die mit einer geringeren Lungenfunktion assoziiert sind und deren
Träger ein erhöhtes Risiko haben, an COPD zu erkranken. Diese neue und
weltgrößte Studie zur Genetik von Lungenerkrankungen liefert also erste
pathophysiologische Erklärungen für den Zusammenhang zwischen
Lungenfunktion und bestimmten Genen.“ Zudem seien letztere auch
Kandidaten für künftige Therapieansätze, dieser translationale Aspekt
ist den Forschern besonders wichtig.
Dr. Stefan Karrasch, Wissenschaftler am EPI I und ebenfalls an der
Arbeit beteiligt, beschreibt das methodische Vorgehen: „Zunächst
untersuchte man Genomdaten von knapp 49.000 Probandinnen und Probanden
mit sehr unterschiedlichen Lungenfunktionswerten. Die dabei gefundenen
Genkandidaten wurden dann in einer zweiten Phase anhand von Daten
weiterer gut 95.000 Probandinnen und Probanden überprüft.“* Auf diese
Weise erhöhten die Wissenschaftler die Zahl an Kandidatengenen von 54
auf nun 97. Künftig, so hoffen sie, könnte man an diesen Stellen
versuchen in die Lungenbiologie einzugreifen, um Krankheiten zu
bekämpfen. Für manche Bereiche seien bereits Wirkstoffe in der
Entwicklung, so die Autoren der Arbeit, die unter Federführung der
Universität Leicester entstand (hier geht es zur entsprechenden Mitteilung der englischen Kollegen). Zudem
entwarfen die Wissenschaftler einen sogenannten Risikoscore**, um die
Wahrscheinlichkeit von COPD vorherzusagen. Patienten mit den höchsten
Werten hatten ein fast viermal so hohes Risiko, eine COPD zu entwickeln,
als solche mit den niedrigsten Werten.
Weitere Informationen
* Die Daten stammten aus der sogenannten UK Biobank.
Dieses groß angelegte Projekt sammelt Gesundheitsdaten von 500.000
freiwilligen Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Vereinigten Königreich,
um die Prävention, Diagnose und Behandlung zahlreicher Krankheiten zu
verbessern. Darunter fallen beispielsweise auch Diabetes, Demenz, Krebs
und andere Volkskrankheiten.
** Unter einem Score versteht man in der Medizin einen Punktwert, der
aus unterschiedlichen diagnostischen Parametern entsteht. Er dient
dazu, die Schwere einer Erkrankung abzuschätzen.
Hintergrund:
An der aktuellen Studie waren 107 Wissenschaftler aus 14 Ländern
beteiligt, darunter die Institute für Epidemiologie, Genetische
Epidemiologie, Molekulare Epidemiologie und Lungenbiologie/Comprehensive
Pneumology Center des Helmholtz Zentrums München, Partner im Deutschen Zentrum für Lungenforschung (DZL). Darüber hinaus sind an der aktuellen Studie von deutscher Seite
die Ludwig-Maximilians-Universität München und die Ernst Moritz Arndt
Universität Greifswald beteiligt.
Die Münchner Helmholtz-Forscher untersuchen unter anderem Daten der Augsburger KORA-Studie: Die Kooperative Gesundheitsforschung in der Region Augsburg (KORA) untersucht seit 30 Jahren die Gesundheit tausender Bürger aus
dem Raum Augsburg. Ziel ist es, die Auswirkungen von Umweltfaktoren,
Verhalten und Genen zu verstehen. Kernthemen der KORA-Studien sind
Fragen zu Entstehung und Verlauf von chronischen Erkrankungen,
insbesondere Herzinfarkt und Diabetes mellitus. Hierzu werden
Risikofaktoren aus dem Bereich des Gesundheitsverhaltens (u.a. Rauchen,
Ernährung, Bewegung), der Umweltfaktoren (u.a. Luftverschmutzung, Lärm)
und der Genetik erforscht. Aus Sicht der Versorgungsforschung werden
Fragen der Inanspruchnahme und Kosten der Gesundheitsversorgung
untersucht. www.helmholtz-muenchen.de/kora