Manche
Proteine haben eine ungewöhnliche Eigenschaft: Je älter sie werden,
desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie abgebaut
werden. Dieses überraschende Ergebnis hat nun ein Forschungsteam vom
Max-Delbrück-Centrum in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
im Fachjournal Cell veröffentlicht. Sie haben zum ersten Mal
den Lebenszyklus tausender Proteine verfolgt. Die Ergebnisse der
Grundlagenforschung sind für Krankheiten relevant, bei denen zu viele
Genkopien vorliegen.
Im Laufe ihres
Lebens erfüllen Proteine vielfältige Aufgaben, am Ende werden sie
gezielt entsorgt. Nach der vorherrschenden Theorie haben alte und junge
Proteine dasselbe Risiko, abgebaut zu werden. Tatsächlich verhält sich
ein Teil der Proteine in der Zelle ganz anders. Etwa ein Zehntel
der untersuchten Proteine wird mit zunehmendem Alter stabiler.
Diesen überraschenden Befund stellte ein internationales Forschungsteam
um Prof. Matthias Selbach vom MDC und der Charité –
Universitätsmedizin Berlin und Partnern vom Max-Planck-Institut für
Kolloid- und Grenzflächenforschung in der renommierten
Fachzeitschrift Cell vor.
Das Leben der Proteine verfolgt
Den
Lebenszyklus der Proteine verfolgten die Forscher in Kulturen von
Menschen- und Mauszellen mithilfe von Massenspektrometern und erhielten
so einen Überblick über den Zeitverlauf der Abbauprozesse von Proteinen.
Die Forscher fanden heraus, dass bestimmte Sorten von Proteinen
im Überschuss hergestellt werden. Ein Großteil der Neuproduktion wird
gleich wieder abgebaut, während der Rest stabil bleibt.
Die Folgen einer Überdosis Gene
Die
Ergebnisse sind auch für Erkrankungen relevant, bei denen zu viele
Kopien von manchen Genen vorliegen. Das ist zum Beispiel bei Trisomien
der Fall: hier liegen ganze Chromosomen nicht zwei-, sondern dreimal vor
und es werden dementsprechend auch zu viele Proteine produziert. Das
führt häufig zu einem inneren Ungleichgewicht und zu Stress für die
Zelle.
Für die Proteine mit den neu
entdeckten Eigenschaften gilt das aber offenbar nicht. Liegen für diese
zu viele Genkopien vor, baut die Zelle die überschüssig produzierten
Proteine einfach ab und stellt so das Gleichgewicht wieder her. „Wir
können jetzt den Zusammenhang zwischen Gendosis und daraus
resultierender Proteinmenge besser erklären“, erläutert Studienleiter
Selbach.
Die Trisomie des Chromosoms 21 führt
zum Down-Syndrom, während Trisomien anderer Chromosomen gravierendere
Folgen haben. Die Schwere der Konsequenzen entscheidet sich womöglich
anhand des Lebenszyklus der Proteine, die auf dem betroffenen Chromosom
kodiert sind. Selbach möchte das Thema daher weiter vertiefen: „Wir
schauen uns nun weitere Zellen mit Erbgutveränderungen an, um die Folgen
von vervielfachten Genabschnitten besser zu verstehen.“
Erik McShane, Celine Sin, Henrik Zauber, Jonathan N.
Wells, Neysan Donnelly, Xi Wang, Jingyi Hou, Wei Chen, Zuzana Storchova,
Joseph A. Marsh, Angelo Valleriani and Matthias Selbach (2016): „Kinetic analysis of protein stability reveals age-dependent degradation.“ Cell 167. doi:10.1016/j.cell.2016.09.015