Vorsicht bei Hustenstillern: Lebensgefährliche Nebenwirkungen durch Codein
fzm, Stuttgart, Juli 2015 – Eltern sollten
ihren Kindern keine Hustensäfte mit dem Wirkstoff Codein geben. Seit
kurzem sind die Mittel für Kinder unter 12 Jahren verboten und auch für
ältere Kinder rät das Bundesinstitut für Arzneimittel und
Medizinprodukte (BfArM) von der Gabe des Hustenstillers ab. Auch für
Erwachsene ist Vorsicht geboten. In der Fachzeitschrift „DMW Deutsche
Medizinische Wochenschrift“ (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2015)
erklären Mitarbeiter der Behörde die Gründe.
Nach Auskunft der BfArM-Vizepräsidentin, Professor Julia
Stingl, starben mehrere Kinder, darunter eines in Deutschland, an einem
plötzlichen Atemstillstand, nachdem sie codeinhaltige Tropfen gegen
ihren Husten bekommen hatten. In einem Fall erkrankte sogar ein Baby,
dessen Mutter Codein zur Schmerzstillung erhalten hatte. Daher hat sich
das BfArM zu den Einschränkungen für Kinder entschieden.
Die Gründe wurden erst in den letzten Jahren ermittelt. Sie
hängen mit dem Wirkungsmechanismus von Codein zusammen. Codein ist ein
Pro-Drug. Die Wirkung tritt erst ein, wenn das körpereigene Enzym CYP2D6
Codein in der Leber in Morphin verstoffwechselt hat. Morphin ist ein
starkes Schmerzmittel, das auch den Hustenreiz lindert. Wie aktiv CYP2D6
ist, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich, erklärt Professor
Stingl. Bei etwa sieben Prozent der Deutschen fehle das Enzym komplett:
Bei ihnen werde kein Morphin gebildet und es trete keine
schmerzstillende Wirkung ein. Im Gegensatz dazu verstoffwechseln etwa
drei Prozent der Bevölkerung ultraschnell. Diese Menschen haben mehrere
Kopien des CYP2D6-Gens. Bei einer Familie in Schweden lag es laut
Professor Stingl sogar in 13-facher Ausführung vor. Bei diesen
sogenannten Ultraschnell-Metabolisierern steigen die
Morphin-Konzentrationen rasch an und bereits nach einmaliger Einnahme
von Codein könne es zu einer Überdosierung kommen. Morphin stoppt den
Atemantrieb im Gehirn und die Patienten ersticken. Bei Kindern kommt
hinzu, dass die Ausscheidung von Morphin über die Nieren verlangsamt
ist. Die „Atemdepression“ bei kleinen Kindern, vor allem wenn sie nachts
auftritt, ist schwer zu erkennen und daher lebensgefährlich.
Das Enzym CYP2D6 ist nicht nur in der Leber aktiv. Es wurde
auch in Hirnzellen nachgewiesen. Welche Funktion es dort hat, ist
Gegenstand eines aktuellen Forschungsprojektes, das das BfARM zusammen
mit dem Karolinska Institut Stockholm und der Universität Toronto
durchführt. Bisherige Studien zeigen, dass depressive Patienten, die zu
den Ultraschnell-Metabolisierern gehören, eine erhöhte Neigung zum
Suizid haben – wahrscheinlich weil sie Antidepressiva zu schnell
verstoffwechseln. Auch bei essgestörten Patienten konnte man eine höhere
Neigung zu suizidalen Gedanken oder Handlungen beobachten. Eine
mögliche Erklärung wäre, dass CYP2D6 in den Stoffwechsel von
Botenstoffen im Gehirn eingreift und so zu impulsgesteuerten Handlungen
führen könnte.
Im Forschungsprojekt des BfARM wird außerdem untersucht, ob
andere Medikamente die Aktivität von CYP2D6 verändern. Eine Verstärkung
der Wirkung ist für andere Leberenzyme bekannt, schreibt Professor
Stingl. Dies würde dann die Wirkung und die Risiken von Codein noch
einmal erhöhen, vor allem bei Ultraschnell-Metabolisierern. Rauchen und
Alkohol stehen derzeit im Verdacht, eine solche Wirkung zu erzielen.
Professor Stingl rät deshalb auch Erwachsenen zur Vorsicht bei dem
Wirkstoff Codein, der zwar seit über hundert Jahren in der Medizin
eingesetzt wird, über dessen Wirkung und Wechselwirkungen aber noch
längst nicht alles bekannt ist.