Magnetfeld und Laser entlocken Graphen ein Geheimnis
Wissenschaftler
des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) haben erstmals die
Dynamik von Elektronen des „Wunderstoffs“ Graphen im Magnetfeld
untersucht. Dabei haben sie ein scheinbar paradoxes Phänomen im Material
entdeckt, das in Zukunft den Bau von neuartigen Lasern ermöglichen
könnte. Zusammen mit Forschern aus Berlin, Frankreich, Tschechien und
den USA beschrieben sie ihre Beobachtungen präzise im Modell und
veröffentlichten sie jetzt in der Fachzeitschrift Nature Physics (DOI:
10.1038/NPHYS3164).
Graphen
gilt als „Wundermaterial“: Es ist reißfester als Stahl und leitet Strom
und Wärme besser als Kupfer. Als zweidimensionale Schicht, die nur aus
einer Lage an Kohlenstoff-Atomen besteht, ist es aber zugleich auch
flexibel, fast durchsichtig und rund eine Million Mal dünner als ein
Blatt Papier. Schon kurz nach seiner Entdeckung vor zehn Jahren
erkannten Wissenschaftler zudem, dass sich die Energiezustände von
Graphen im Magnetfeld – die sogenannten Landau-Niveaus – anders
verhalten als die von Halbleitern. „Es wurden zwar viele faszinierende
Effekte von Graphen in Magnetfeldern entdeckt, aber die Dynamik von
Elektronen hat bislang niemand in einem solchen System untersucht“,
erklärt der Physiker Dr. Stephan Winnerl vom HZDR.
Die
HZDR-Forscher setzten das Graphen einem vier Tesla starken Magnetfeld
aus – 40 Mal stärker als ein Hufeisenmagnet. Das genügt, um Elektronen
im Graphen dazu zu bringen, nur noch ganz bestimmte Energiezustände
einzunehmen. Die negativ geladenen Teilchen werden so gewissermaßen auf
Bahnen gezwungen. Diese Energieniveaus wurden dann mit Lichtpulsen des
Freie-Elektronen-Lasers am HZDR untersucht. „Der Laserpuls regt die
Elektronen auf ein bestimmtes Landau-Niveau an. Ein zeitlich versetzter
Puls fragt dann ab, wie sich das System entwickelt“, erklärt Martin
Mittendorff, Doktorand am HZDR und Erstautor des Papers.
Umsortierung der Elektronen überrascht Wissenschaftler
Das
Ergebnis der Versuche verblüffte die Wissenschaftler. Nach und nach
leerte sich ausgerechnet das Energieniveau, in welches per Laser stets
neue Elektronen gepumpt wurden. Den paradox wirkenden Effekt
veranschaulicht Winnerl an einem Alltagsbeispiel: „Man stelle sich vor,
eine Bibliothekarin sortiert Bücher in einem Regal mit drei Böden um.
Sie stellt jeweils ein Buch vom unteren Boden in den mittleren.
Gleichzeitig ‚hilft‘ ihr Sohn, indem er immer zwei Bücher aus der Mitte
nimmt und eins davon in den oberen, das andere in den unteren Boden
stellt. Der Junge macht das so eifrig, dass die Anzahl der Bücher im
mittleren Boden abnimmt, obwohl seine Mutter ja gerade diesen Boden neu
füllen möchte.“
Da es
zu solchen Dynamiken zuvor weder Experimente noch Theorien gab, hatten
die Dresdner Physiker anfangs Probleme, die Signale richtig zu deuten.
Doch nach einigen Versuchen fanden sie eine Erklärung: Stoßprozesse
zwischen Elektronen verursachen das ungewöhnliche Umsortieren. „Dieser
Effekt ist als Auger-Streuung schon länger bekannt, doch niemand hätte
erwartet, dass er so stark ist und ein Energieniveau immer leerer
räumt“, erläutert Winnerl.
Diese
neue Entdeckung könnte in Zukunft für die Entwicklung eines Lasers
genutzt werden, der Licht mit beliebig einstellbarer Wellenlänge im
Infrarot- und Terahertz-Bereich produzieren kann. „So ein
Landau-Niveau-Laser galt lange als unmöglich, doch dank Graphen könnte
dieser Traum der Halbleiter-Physiker durchaus wahr werden“, merkt
Winnerl begeistert an.
Berliner Forscher berechnen komplexes Modell für Dresdner Experimente
Nachdem
sich das grundlegende Modell in den Experimenten bewährt hatte, folgte
an der Technischen Universität Berlin die theoretische Feinarbeit. Die
Berliner Wissenschaftler Ermin Malic und Andreas Knorr bestätigten mit
komplexen Berechnungen die Annahmen der Dresdner Gruppe und lieferten
detaillierte Einblicke in die zugrundeliegenden Mechanismen. Zudem
kooperierten die HZDR-Forscher mit dem französischen
Hochfeld-Magnetlabor in Grenoble (Laboratoire National des Champs
Magnétiques Intenses – LNCMI), der Karls-Universität Prag und dem
US-amerikanischen Georgia Institute of Technology, Atlanta.
Die Forschung wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) innerhalb des Schwerpunktprogramms „Graphen“ gefördert.