Warum Stress am Arbeitsplatz krank macht

Depressionen und Herzinfarkt: Warum Stress am Arbeitsplatz krank macht

fzm, Stuttgart, Juli 2014 – Hohe Anforderungen,
permanenter Zeitdruck und geringe Kontrollmöglichkeiten, eine nicht
angemessene Belohnung und keine Aussicht auf Beförderung. Das alles kann
Arbeiter und Angestellte krank machen. So steigert Arbeitsstress das
Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, um 40 Prozent, das Risiko, eine
Depression zu entwickeln, sogar um 80 Prozent, warnt ein Experte in der
Fachzeitschrift „DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift“ (Georg Thieme
Verlag, Stuttgart. 2014).

Arbeitsstress ist ein Alltagsbegriff, dessen Auswirkungen auf
die Gesundheit kaum fassbar erscheinen. Wissenschaftler haben in den
letzten Jahren jedoch Fragebögen entwickelt, mit denen sie potenziell
gesundheitsgefährdenden Stress erkennen und bewerten können.
„Arbeitsstress ist messbar“, schreibt Professor Peter Angerer, Leiter
des Instituts für Arbeits- und Sozialmedizin der
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, und nennt gleich drei Arten, wie
Arbeitsstress die Menschen krank macht. Das „Job Strain“-Modell
vergleicht die Anforderungen am Arbeitsplatz mit den Möglichkeiten des
Arbeiters sie zu erfüllen. Wenn Zeit- und Handlungsspielräume und
Lerngelegenheiten fehlen, kann die Arbeit schnell über den Kopf wachsen,
was auf Dauer krank macht. „Diese Konstellation findet sich häufig bei
Beschäftigten mit gering qualifizierter Industriearbeit, etwa
Fließbandarbeit in hohem Tempo“, schreibt Angerer. Aber auch einfache
immer gleiche Bürotätigkeiten könnten krank machen, wenn die
Anforderungen zu hoch geschraubt werden. Ein 11-Punkte-Fragebogen zeigt
den Forschern, ob die Gesundheit eines Arbeiters oder Angestellten
gefährdet ist.

Unter Belohnungs- oder Gratifikationskrisen leiden Menschen,
die für ihre berufliche Karriere Vorleistungen erbracht haben und sich
gegen Konkurrenten durchsetzen wollen. Wenn der Erfolg ausbleibt, neigen
viele zu einem ungesunden Überengagement. „Stresstheoretisch stehen
enttäuschte Erwartungen sozialer Belohnungen im Zentrum“, erläutert der
Experte. Auch dies ist mittlerweile mit einem Fragebogen messbar.

Der dritte Stressor entsteht durch Willkür und nicht korrekte
Umgangsformen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern. Auch ein Mangel
an Fairness und Respekt im Umgang miteinander ist ungesund.
Arbeitsmediziner bezeichnen dies als mangelnde
Organisationsgerechtigkeit, die sie ebenfalls mit einem Fragebogen
erfassen können.

In den letzten Jahren haben Arbeitsmediziner die Fragebögen
genutzt, um die Auswirkungen von Stress auf die Gesundheit zu messen.
Ihre Ergebnisse zeigen, dass Arbeitsstress das Risiko auf Depressionen
um 80 Prozent und das Risiko auf einen Herzinfarkt um 40 Prozent
steigert. Für die Depressionen sei dies noch eine zurückhaltende
Schätzung, so Professor Angerer. Die wissenschaftliche Befundlage sei
„robust“. Für Arbeitsstress als Ursache spreche die Übereinstimmung der
Ergebnisse in verschiedenen Studien und eine „Dosis-Wirkungsbeziehung“:
Je stärker der Stress ist und je länger er anhält, desto höher ist das
Risiko von Depressionen. Die Lebensgeschichte der Arbeiter und die
Persönlichkeit haben nach Einschätzung des Experten zwar einen gewissen
Einfluss: „Auf Dauer können sie den Effekt gefährdender
Arbeitsbedingungen nicht wesentlich abschwächen“, warnt er. Die
Belastungen können sogar so hoch sein, dass es für den Arbeiter im
Einzelfall gesünder sein kann, den Job zu kündigen. Arbeitslosigkeit
beeinflusse die psychische Gesundheit zwar negativ, die Beschäftigung in
hochgradig belastenden Berufen könne jedoch noch ungesünder sein. Dies
hat laut Professor Angerer eine Studie aus Australien ergeben.

Auch die schädliche Wirkung auf Herz- und Kreislauf ist gut
untersucht. Professor Angerer sieht zwei „Stressachsen“. Über das
sympathische Nervensystem werden Adrenalin und Noradrenalin, sogenannte
Katecholamine, freigesetzt. Messbar ist dies an einer verminderten
Herzfrequenzvariabilität: Der Herzschlag bleibt so auch bei Entlastung
und Entspannung erhöht. Gleichzeitig schüttet die Nebenniere vermehrt
Cortisol aus, was mit einem morgendlichen Speicheltest gemessen werden
kann. Arbeiter mit erhöhten Werten in den Tests haben ein erhöhtes
Risiko auf einen hohen Blutdruck sowie auf Herzinfarkt oder
Schlaganfall.

Arbeitsstress ist für Professor Angerer vermeidbar.
„Arbeitsbedingungen im Unternehmen sind grundsätzlich modifizierbar und
ein günstigeres Verhalten im Umgang mit Belastungen lässt sich
erlernen“, schreibt der Arbeitsmediziner. Betriebsärzte und
Personalverantwortliche sollten hier zusammenarbeiten. Eine
Stressvermeidung käme dem Betrieb und auch der Gesellschaft zugute. Denn
so Professor Angerer: „Gut belegt ist, dass sich der Anteil psychischer
Diagnosen an Fehlzeiten und Frühberentungen im letzten Jahrzehnt stark
erhöht hat.“

P. Angerer et al.:
Stress: Psychosoziale Arbeitsbelastung und Risiken für kardiovaskuläre Erkrankungen sowie Depression
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2014; 139 (24); S. 1315-1320