Überraschende Klimabilanz: Seen in
Permafrostgebieten entzogen der Atmosphäre langfristig mehr Treibhausgas
als sie bei ihrer Entstehung freisetzten
Bremerhaven, 16. Juli
2014. Seit der letzten Eiszeit haben die sogenannten Thermokarst-Seen
in den arktischen Permafrostgebieten der Atmosphäre mehr Treibhausgase
entzogen, als sie zuvor bei ihrer Entstehung ausgestoßen hatten. Dieses
überraschende Forschungsergebnis präsentiert ein internationales
Wissenschaftlerteam heute in einer Online-Veröffentlichung des
Fachmaga-zins Nature. Die Forscher hatten bis zu 10.000 Jahre alte
Bodenablagerungen aus nordsibiri-schen Seen untersucht und erstmals die
Kohlenstoff-Gesamtbilanz für mehrere hunderttausend Gewässer berechnet.
Ihr Fazit: Die durch die Klimaerwärmung nach der letzten Eiszeit
ent-standenen Tauwasser-Seen emittierten zwar kurzfristig große Mengen
Methan. Auf lange Sicht aber kühlten sie das Klima der Arktis, indem sie
1,6-mal mehr Kohlenstoff aufnahmen und speicherten als sie zuvor
abgegeben hatten. Eine wärmer werdende Arktis könnte diesen Prozess
jedoch innerhalb kurzer Zeit wieder umkehren.
In der Arktis gibt
es heutzutage mehrere Millionen Thermokarst-Seen. Die meisten dieser
flachen Gewässer entstanden vor rund 10000 Jahren, als der
Dauerfrostboden (Permafrost) nach der letzten Eiszeit innerhalb weniger
Jahrzehnte auftaute. Infolgedessen sackte der Untergrund damals in sich
zusammen und bildete Senken, in denen sich anschließend Tau- und
Regenwasser sammelte. Die so entstandenen Seen verstärkten das Auftauen
des Permafrostbodens bis in große Tiefen.
Ein Prozess mit
direkten Auswirkungen auf das Klima in der Arktis: „Wenn der Permafrost
taut und ein solcher See entsteht, zersetzen die am Grund und im
Sediment lebenden Mikroben einen Teil jener Pflanzenreste, die zuvor im
gefrorenen Boden eingeschlossen waren. Dabei produzieren sie das
Treib-hausgas Methan, was uns Forscher bisher zu der Annahme verleitete,
die Seen würden mit ihren Emis-sionen die globale Erwärmung beständig
verstärken“, sagt Dr. Guido Grosse, Permafrostforscher am
Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und
Meeresforschung und Co-Autor der neu-en Studie.
Wie die
Wissenschaftler jetzt wissen, stimmt diese Annahme jedoch nur in Teilen:
„Wir haben die Ablagerungen in den 10000 Jahre alten Thermokarst-Seen
untersucht und herausgefunden, dass diese Gewässer nur in der ersten
Hälfte dieses Zeitraumes große Mengen Methan ausgestoßen haben“, sagt
die Erstautorin Katey Walter Anthony von der University of Alaska
Fairbanks. Vor 5000 Jahren habe sich die Kohlenstoffbilanz der Seen dann
umgekehrt – ausgelöst durch eine natürliche Kettenreaktion.
„Wenn Permafrost taut, setzt er viele Nährstoffe frei, was dazu
führt, dass in den Seen und an ihren Ufern ausgesprochen viele Moose und
andere Pflanzen wachsen. Diese wiederum entziehen der Luft mithilfe der
Photosynthese Kohlenstoff“, so Guido Grosse. Sterben die Pflanzen dann
ab, sinken ihre Überreste zum Grund des Sees und bilden dort dicke
Sedimentschichten. Aufgrund der dynamischen Natur dieser ständig
wachsenden Gewässer laufen viele der Seen aber nach ein paar tausend
Jahren aus. „Ein Phänomen, das in den Permafrostregionen häufig auftritt
und dazu führt, dass die dann frei-liegenden See-Sedimente gefrieren. Es
entsteht neuer Permafrost, der alle Pflanzenreste und damit auch den
darin gebundenen Kohlenstoff einschließt – und zwar in so großen Mengen,
dass die Koh-lenstoff-Speicherquote der Seen und Senken 1,6-mal größer
ist als ihre Emissionsrate und die Seen auf lange Sicht hin einen
klimakühlenden Effekt haben“, sagt Guido Grosse.
Dieser Effekt
aber wirkt nur so lange, wie die Bodenschichten vereist bleiben. Eine
immer wärmer werdende Arktis könnte den Prozess innerhalb kurzer Zeit
wieder umkehren. Guido Grosse: „Unseren Schätzungen zufolge speichern
die arktischen Thermokarst-Seen und -becken etwa 160 Petagramm
Kohlenstoff. Das ist in etwa vergleichbar mit der Speicherkapazität der
tropischen Regenwälder, die mit 212 Petagramm angegeben wird. Wir wissen
außerdem, dass die Luft- und Bodentemperaturen in der Arktis derzeit
steigen und der Permafrost schon in mehreren Regionen auftaut. Die große
Frage lautet jetzt: Was passiert mit diesen großen
Kohlenstoffablagerungen in naher Zukunft?“
Eine Antwort darauf
will er mit seiner ERC Nachwuchsforschungsgruppe PETA-CARB finden,
wel-che im Oktober 2013 ihre Arbeit am Alfred-Wegener-Institut in
Potsdam aufgenommen hat und auf den Erkenntnissen der aktuellen Studie
aufbaut. „Mithilfe der neuen Ergebnisse können wir nicht nur die Rolle
des Permafrostes im globalen Kohlenstoffkreislauf besser verstehen, sie
helfen uns auch Computermodelle dahingehend weiterzuentwickeln, dass sie
die Rückkopplungen zwischen Perma-frostveränderungen und dem Klimawandel
besser vorhersagen. Vor allem die Prozesse des Thermo-karst – darunter
verstehen wir das schnelle Freisetzen und nun auch Speichern des
Kohlenstoffes – werden von gängigen Modellen, wie jenen, die der
Weltklimarat verwendet, bisher noch nicht berück-sichtigt“, so Guido
Grosse.